Was bedeutet Hallux valgus eigentlich genau?
Wir stehen auf ihnen, jeden Tag. Bei gesunden Füßen verteilt sich das Körpergewicht im Stand vor allem auf drei Zonen: Ferse, Groß- und Kleinzehenballen. Durch das Quergewölbe im Vorfuß und das dahinter liegende Längsgewölbe entsteht die normale Form unseres Fußes. Doch aufgrund von Fehlbelastungen, Veranlagung, falschem Schuhwerk und Übergewicht entwickeln sich langfristig Fehlstellungen wie zum Beispiel Plattfüße oder der sogenannte Hallux valgus, eine der häufigsten Fußfehlstellungen. Er tritt bei etwa 20 Prozent der Erwachsenen irgendwann auf, mit zunehmender Häufigkeit ab dem 65. Lebensjahr, und ist klar zu erkennen: Der Mittelfußknochen der Großzehe entfernt sich von den anderen, wodurch der Zeh selbst in Richtung der kleineren Zehen zeigt. Zudem steht der Ballen am Ansatz der Großzehe hervor: die typische Hallux-valgus-Stellung (siehe Bild oben). Meist flacht gleichzeitig das Längsgewölbe ab.
Nicht immer lässt sich eindeutig klären, wie ein Hallux valgus entstanden ist. Wer schon eine andere Fehlstellung der Füße hat, scheint ein höheres Risiko aufzuweisen. Auch eine zu hohe Beweglichkeit der Großzehe oder aber eine zu geringe Beweglichkeit der Achillessehne und der Wadenmuskulatur können eine Rolle spielen. Beschwerden im Kniegelenk wie X- oder O-Beine, die häufig zu Knieschmerzen führen, sind ein weiterer wichtiger Faktor.
Kletternde in der ersten Reihe
Aber der Hauptwegbereiter für den Hallux valgus sind zu enge Schuhe. Und da stehen Kletternde in der ersten Reihe. Zwei Größen zu kleine, vorgespannte, harte Schuhe belasten die Füße enorm, denn evolutionär gesehen sind sie auf vielfältige Bewegungen ausgelegt. Beim Bouldern und Klettern werden aber nur wenige Gelenkwinkel beansprucht, dazu kommt die starke Kompression der aufgestellten Zehen, um Druck auf teils winzige Tritte zu kriegen. Diese Kombination setzt den Zehengelenken ordentlich zu. Besonders in der Kletterhalle passiert es zudem nicht selten, dass die Zehen mit Karacho und recht unkontrolliert gegen die Wand donnern. Diese Art von Aufprall wirkt sich auch ungünstig auf die Zehengelenke aus. Aber nicht nur Kletterschuhe malträtieren unsere Füße. Schon das Stehen und Gehen auf ausschließlich ebenen Böden belastet unsere untersten Extremitäten – auch hier bleiben die Winkel immer gleich, was auf Dauer schadet. Deshalb gelten anspruchsvolle Zustiege zum Fels und das Gehen auf verwurzelten, steilen und unebenen Böden bereits als gute Fußgymnastik.
Vorteilhaft ist auch regelmäßiges Barfußlaufen, idealerweise im Sand. Am Fels oder in der Halle solltet ihr die Schuhe so oft wie möglich ausziehen und außerdem ein zweites Paar Kletterschuhe nutzen, und zwar ein bequemes. Nicht für jede Route und jeden Boulder müssen es die engen Kampfmodelle sein. Und es kommt ja auch ziemlich gut, seine Fußtechnik so zu perfektionieren, dass man winzige Tritte auch mit dem guten alten La Sportiva Mythos stehen kann. Außerdem solltet ihr die Füße so oft wie möglich dehnen und mobilisieren. Übungen dazu findet ihr in der Fotostrecke unten:
Übungen für gesunde Füße
Das mag zwar lästig sein, aber nicht so lästig wie eine schmerzhafte Arthrose, die sich möglichweise in andere Gelenke fortsetzt (Knie, Hüfte, Wirbelsäule). Denn die Füße stellen gewissermaßen das Funda-ment des Skeletts dar. Da ist es sinnvoller, das "Bodenpersonal" fit zu halten. Und so richtig Lust auf Kletterschuhe hat man mit einem starken Hallux valgus auch nicht mehr, oft schmerzt er auch im Alltag. Die Fehlstellung der Großzehe beim Gehen und Laufen ändert das Abrollverhalten und reduziert die Funktion und Kraft der Zehenmuskeln. Der vergrößerte Ballen der Großzehe reibt mit der Zeit am zu eng gewordenen Schuh – was den Schleimbeutel des Gelenks reizt, der sich dadurch entzün- den kann. In Folge versucht man nun unwillkürlich, den schmerzenden Bereich zu entlasten. Das wiederum führt häufig zu einer Überlastung der benachbarten Zehen, starker Hornhautbildung und Schwielen in diesem Bereich. Die chronischen Schmerzen im Großzehenbereich nehmen zu.
Was hilft bei einem Hallux valgus?
Ein gezieltes Übungsprogramm kann die Fehlstellung verbessern, aber nicht vollständig beseitigen. Das Ziel einer Physio- therapie ist aber auch kein "normal" aussehender Fuß, sondern die Schmerzfreiheit – und die kann auch mit verbleibender leichter Fehlstellung erreicht werden. Wichtig bei einem Hallux valgus ist es, die Kraft und Funktion der Zehenmuskulatur zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen. In der Therapie wird die Großzehe manuell mobilisiert, die Belastung des Fußes optimiert und der Fuß gekräftigt. Weitere Möglichkeiten: Tapen mit straffem Leukotape oder elastischem Kinesio-Tape hemmt die Seitwärtsbewegung der Großzehe und kann das Abrollen beim Ge- hen und Laufen erleichtern. Orthesen, die die Großzehe von den anderen wegziehen und das Längsgewölbe unterstützen, entlasten das Grundgelenk der Großzehe und verbessern die Gewichtsverteilung auf dem Fuß. Alternativ mobilisieren spezielle Bandagen und Strümpfe, die nur über die Großzehe gezogen werden, den großen Zeh beim Gehen in der gewünschten Richtung. Auch individuell angepasste Einlagen können gegen den Hallux valgus helfen.
Wie bei vielen anderen Beschwerden, Krankheiten und Verletzungen gilt auch beim Hallux valgus: Etwas Wissen erleichtert die Genesung. Selbstmanagement im Sinne einer angepassten Schmerzmedikation (Tabletten oder Salbe), Wärmebehandlung, zum Beispiel mit heißer Rolle oder Wärmesocken, Kälteanwendungen mit Cool-Packs oder Kühlsocken und entlastende Bewegungen helfen bei der Bewältigung der Beschwerden im Alltag. Wenn die konservativen Maßnahmen keinen Erfolg bringen, können bei einer Operation der überstehende Ballen und das entzündete Gewebe entfernt werden. Der Eingriff stellt auch die Stellung der Knochen zueinander wieder her. Im Anschluss an die Operation wird die Belas- tung in einem Spezialschuh unter physiotherapeutischer Anleitung nach und nach erhöht. Wann der Fuß nach der Operation voll belastbar ist, hängt davon ab, wie stark die Stellung der Großzehe verändert wur- de. Bis man wieder normal gehen darf, dauert es vier bis zwölf Wochen. Dann beim Klettern vielleicht doch lieber auch mal die weiteren Schuhe anziehen – und zu ande- ren Gelegenheiten natürlich auch.
Welche Kletterschuhe also?
Nicht nur die Auswahl der optimalen Kletterschuhe, auch die Suche nach passenden Modellen für den Alltag stellt Menschen mit Hallux valgus vor eine große Herausforderung. Eine generelle Empfehlung für den einen richtigen Schuh gibt es nicht, da- für aber einige Faktoren, die man beim Schuhkauf beachten sollte. Am wichtigsten ist genug Platz für die Zehen im gesamten Vorfußbereich.
So kannst du Schmerzen durch zusätzliche Druckstellen vermeiden. Schuhe mit weichen, dehnbaren Materialien wie beispielsweise Merinowolle im Vorfußbereich sind angenehmer zu tragen als starre Obermaterialien. Außerdem sollte sich über den Zehen möglichst keine Naht befinden. Schuhe mit herausnehmbarer Sohle sind von Vorteil, wenn du eine Schiene trägst oder individuell angefertigte Einlagen nutzen möchtest. Schuhe mit hoher Sprengung (von der Ferse zum Vorfuß stark abfallend) vermindern die Aktivität der Fußmuskulatur und sind deshalb weniger geeignet als flexible Sohlen mit geringer Sprengung.
Bei den Kletterschuhen sollte man auf eine weite Zehenbox und weiches Obermaterial achten. Als bequem empfinden viele den Five Ten Anasazi oder Niad VCS und den Evolv Defy.
Bei Outdoorschuhen empfehlen sich die für Hallux-valgus-Betroffene entwickelten Hanwag-Modelle der Bunion-Linie und die vorne extrabreit und voluminös ausfallende Meindl Comfort-Fit Passform. Laufschuhe gibt es von Joe Nimble und Altra. Beide Hersteller bieten eine an die Anatomie des Fußes angepasste, geräumige Zehenbox und Nullsprengung (siehe Bild unten)

Schuhe mit weiter Zehenbox (rechts) bieten den Zehen, anders als herkömmliche Zehenboxen (links), den Platz, den sie natürlicherweise brauchen.