Der Fels, an dem wir klettern, ist uralt. Die Linien, denen wir folgen, sind von der Natur vorgegeben. Damit diese Linien zu Routen oder Bouldern werden, bedarf es kreativer Menschen, die ihre Leidenschaft und Arbeit ins Putzen und Einbohren stecken. Fünf Erschließer erzählen uns von ihrer Motivation und Philosophie.
Auf den nächsten Seiten gibt's die Interviews rund ums Finden, Entwickeln und Etablieren neuer Kletterrouten und Boulder mit:
Chris Sharma, 36 Jahre
Nasim Eshqi, 35 Jahre
Dani Andrada, 42 Jahre
Fred Nicole, 47 Jahre
Arnaud Petit, 46 Jahre
Nasim Eshqi im Interview
Was gefällt dir am Klettern?
Das Klettern hat mich von Anfang an völlig in den Bann gezogen, weil es mir mehr Freiheit schenkte. Klettern ist wie Tanzen am Fels. Jeder tanzt nach seinen Fähigkeiten – genauso ist es auch beim Klettern. Es gibt nie nur den einen Weg, eine Route zu begehen. Am Klettern gefällt mir nicht nur die Tatsache, dass man seine Grenzen ausloten und überwinden kann. Ich fühle mich auch bei keiner anderen Tätigkeit so gleichwertig wie beim Klettern. Wir sind alle gleich. Niemand kann sich der Schwerkraft widersetzen. Andere Hierarchien gibt es nicht. Wenn du eine bestimmte Route klettern willst, musst du technisch entsprechend in Form sein – das gilt für alle gleich. Und das gefällt mir.
Wie bist du dazu gekommen, neue Routen einzubohren?
Ich habe in einer kleinen Gruppe mit dem Klettern angefangen. Da hatte ich einfach Glück, die richtigen Leute zu treffen. Umgekehrt war ich wahrscheinlich auch die Richtige für die Gruppe. Wir hatten einen Trainer, der uns auch das Erschließen beibrachte. Das hat mir so gut gefallen, dass ich gar nicht mehr aufhören wollte. Wir fuhren an bisher unerschlossene Orte und fingen an, neue Routen einzubohren, und zwar immer vom Boden nach oben. So konnten wir nicht nur an bereits bestehende Routen anknüpfen, sondern auch der nächsten Generation etwas hinterlassen. Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen – und abenteuerlich war es noch dazu.
Was würdest du den Erschließungsprozess beschreiben?
Einbohren ist kein Spaziergang, es ist mit harter Arbeit und Anstrengung verbunden. Der Prozess hat aber auch etwas sehr Dynamisches, und das mag ich. Eine Linie am Fels zu finden, vielleicht eine Spalte oder eine Griffabfolge – das ist für mich ein sehr kreativer Prozess. Manchmal springt einem schnell eine logische Linie ins Auge, andere Male muss man sehr genau hinschauen. Den Zweck der Route hat man dabei stets im Hinterkopf: Soll das eine Trad-Linie oder eine Linie für Sportkletterer werden? Geht es ums einmalige Durchsteigen oder will man eine Route erschließen, die später auch anderen dient? Falls ja, muss man sich überlegen, wie man einbohrt, damit die Route am Ende für alle sicher ist.
War es eine schwierige Entscheidung, dein Leben dem Klettern zu widmen?
Ich habe mich bewusst für das Kletterleben entschieden. Für iranische Verhältnisse war das schon eine sehr ungewöhnliche Entscheidung, nicht nur für mich als Frau, sondern generell für die Kletter-Community. Niemand wollte sein ganzes Leben dem Klettern widmen, so ganz ohne richtigen Job. Ein Leben nach gängiger Vorstellung hätte geheißen: Job, Haus, Familie. Ich wusste, dass ich mich auf ein Leben ohne regelmäßiges Einkommen und ohne Absicherung einlassen würde – ein riskanter Lebensstil. Ich habe das aber so akzeptiert und alles hinter mir gelassen. Das war ein großer Schritt, aber wer weiß schon, was morgen ist? Ich fing an zu reisen, gelegentlich zu arbeiten und ein sehr bescheidenes Leben zu führen.
Hattest du dabei auch mit Hindernissen oder Schwierigkeiten zu kämpfen?
Als ich angefangen habe zu klettern, stand ich völlig alleine da. Viele waren gegen mich, vor allem Frauen. Ich musste mich zwar nie körperlich zur Wehr setzen, aber mental war es ein harter Kampf. Als ich anfing, war die Kletter-Community sehr stark männlich geprägt, genauso wie der Iran. Die Regeln wurden von Männern bestimmt. Manchmal musste ich mir meine Position wirklich erst erkämpfen. Irgendwann wird man aber auch kampfesmüde. Man kann nicht seine ganze Energie nur auf das Kämpfen verschwenden. Man muss also einen Weg finden, mit schwierigen Situationen umzugehen. Für mich war es das Beste, einfach nicht hinzuhören und an meinem Weg festzuhalten.
Mit der Zeit wurde ich immer besser, ich kletterte höhere Schwierigkeitsgrade und fing an, viel zu reisen. Europäische Zeitschriften und Medien berichteten jetzt über meine Geschichte. Schließlich hat man sich auch im Iran für mich interessiert und ich wurde zu Vorträgen und Präsentationen eingeladen. Jene, die zunächst gegen meinen Lebensstil waren, sind jetzt in gewisser Hinsicht meine Fans geworden.
Hast du vor diesem Hintergrund eine besondere Botschaft für andere, insbesondere für Frauen im Iran?
Sich in die Mentalität anderer Länder einzudenken ist sehr schwierig. Ich denke nicht, dass ich wirklich eine Botschaft habe, auch nicht für die Frauen im Iran. Eine Erkenntnis möchte ich aufgrund meiner Erfahrung aber teilen – es ist nichts Frauen- oder Männerspezifisches, sondern bezieht sich auf das System im Allgemeinen: Von dem Moment an, an dem man sich für einen Weg entscheidet und anfängt das zu tun, was man wirklich will, muss man die Ohren auf Durchzug schalten und die Meinung anderer einfach abprallen lassen. Man muss dem Leben vertrauen. Ich denke, dass alles im Leben von unserer Einstellung und unseren Zielen abhängt. Deshalb lautet meine Philosophie: Wenn du etwas erreichen willst, wird dich die ganze Welt dabei unterstützen.
Portrait Nasim Eshqi

Nasim Eshqi war mehrfache iranische Meisterin im Kickboxen, bevor sie mit 23 Jahren das Klettern für sich entdeckte. Trotz der Hindernisse für Frauen im Iran lebt sie ihre Leidenschaft voller Energie und gehört mittlerweile zu den wichtigsten Vertretern ihres Sports. Sie selbst betrachtet die ganze Erde als ihre Heimat und bereist die Welt, um neue Gebiete kennenzulernen und Kletterrouten zu erschließen.
Nasim Eshqi had been crowned Iranian kickboxing champion several times before discovering climbing at the age of 23. Despite the obstacles facing women in Iran, she puts all her energy into pursuing her passion and is now one of the major ambassadors of her sport. She considers the whole planet to be her home, traveling the world in order to discover new areas and develop climbing routes.
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Dani Andrada im Interview
Warum hast du angefangen, neue Routen einzubohren?
Anfangs war das Einbohren einfach eine Abwechslung zum reinen Klettern. Außerdem sind mir im Umkreis von Madrid nicht viele Routen geblieben, denn ich war dort quasi auf allen Routen unterwegs, die es gab. Schließlich kam ich an den Punkt, an dem das Einbohren zu einer Notwendigkeit wurde: Um meine eigenen Projekte umzusetzen, musste ich meine eigenen Routen erschließen. Mittlerweile sind das Klettern und das Einbohren für mich nicht mehr voneinander zu trennen. Das Eine ist mir genauso wichtig wie das Andere, immerhin gäbe es ohne Erschließertätigkeit auch keine Kletterei.
Woher nimmst du deine Motivation?
Die geht mir eigentlich nie aus! Das Einbohren motiviert mich immer wieder aufs Neue, denn es eröffnet mir ständig neue Projekte und Klettergebiete. Die Erschließertätigkeit ist etwas sehr Kreatives, eine Art Kunst. Man entdeckt neue Gegenden und tauscht sich mit der Kletter-Community aus. Ich denke, dass wir unseren Sport wirklich nur den Erschließern zu verdanken haben, die irgendwann mit dem Einbohren neuer Routen angefangen haben – das ist zumindest meine Meinung.

Wie würdest du deinen Erschließungsstil beschreiben? Bohrst du immer nur schwierige Routen?
Grundsätzlich geht es mir nicht nur um die Schwierigkeit der Route. Ich suche Linien, die ich spannend finde – egal ob sie nun schwierig oder etwas einfacher sind. Ich habe auch Routen im sechsten und siebten Grad eingebohrt, aber die meisten meiner Routen haben einen Schwierigkeitsgrad von mindestens 8c. Auch was die Felswand betrifft, probiere gerne alles aus, aber am liebsten klettere ich in Überhängen mit vielen Sintern.
In welchen Gebieten hast du am meisten Routen auf internationalem Niveau erschlossen?
Die meisten Routen habe ich in der Nähe meines Heimatortes erschlossen, in Siurana, Margalef und anderen Orten in Spanien. Außerdem habe ich fast überall, wo ich hingereist bin, auch eine Route erschlossen: in Frankreich und anderen europäischen Ländern, aber auch in China, Mexiko und Venezuela. Wenn ich reise, bohre ich gerne ein oder zwei Routen ein und hinterlasse damit ein kleines Andenken.
Hast du den Eindruck, dass den Erschließern von der Kletter-Community genügend Respekt und Anerkennung entgegengebracht wird?
Ich denke, dass viele Kletterer sich nicht ganz im Klaren darüber sind, wieviel Arbeit, Zeit und Material so eine neue Route erfordert. Die Leute gehen klettern und erwarten, dass die Bohrhaken schon da sind, alles schön sauber und im perfekten Zustand ist. Aber da steckt sehr viel Arbeit dahinter.
Manche Erschließer wünschen sich mehr Anerkennung und möchten am liebsten Geld von den Kletterern verlangen. Davon halte ich aber nicht sehr viel. Wenn du eine Route erschließt, sollte das für dich etwas Zwangloses sein, das dir Spaß macht. Wenn du es gerne tust, machst du es auch sorgfältig und gut. Die Motivation sollte ein bisschen so sein wie beim Klettern. Wer berufsmäßig einbohrt, um Geld zu verdienen, kann seine Sache nicht so gut machen – es geht dann um Schnelligkeit, und das auf Kosten der Qualität. Das finde ich nicht gut.
Wie lange dauert das Einbohren einer Route?
Bei optimalem Gestein und wenn man sehr schnell ist, kann man eine Route in einem Tag einbohren, aber im Allgemeinen ist es sehr schwierig, sie dann auch perfekt zu machen. Für eine gute Route braucht man mindestens zwei bis drei Tage. Die Befestigung der Bohrhaken ist der einfachste Teil der Arbeit. Viel schwieriger ist es, gründlich zu putzen, damit die ganze Linie perfekt ist.
Danke, Dani
Portrait Dani Andrada

Dani Andrada ist einer der aktivsten Kletterer und Erschließer weltweit. Er hat bis dato rund 700 Routen eingebohrt, wobei der Großteil davon im schwierigen achten und neunten Grad der französischen Skala liegt. Während er zahlreiche Routen in seinem Heimatland Spanien und in Frankreich eingerichtet hat, hat er seine Handschrift auch in Klettergärten in aller Welt hinterlassen, wie etwa in China, Mexico und Venezuela.
Dani Andrada is one of the most active climbers and route developers worldwide. So far, he has bolted about 700 routes, most of them as difficult as the 8th and 9th french grade. Besides developing routes in his home country Spain and in France, he has also left his mark in climbing crags all over the world, for instance in China, Mexico and Venezuela.
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Fred Nicole im Interview
Wie bist du zum Bouldern gekommen und woher kommt deine Neugier und Motivation, immer neue Gebiete und Linien zu erschließen?
Zusammen mit meinem älteren Bruder François habe ich um 1980 mit dem Klettern begonnen. Zu der Zeit war das Freiklettern in der Schweiz nicht sehr weit verbreitet, das Bouldern noch weniger. Als wir ein gewisses Niveau erreicht hatten, mussten wir nach neuen Spielwiesen suchen, nach neuen Routen. Und so haben wir schnell Gefallen daran gefunden, neue Gebiete und Möglichkeiten zu erforschen. So haben wir angefangen, Gebiete wie etwa Saint-Loup in der Romandie zu erschließen.
Das Bouldern war anfangs eine Art Einstieg ins Routenklettern. Es gab damals keine künstlichen Kletterwände zum Trainieren, so haben wir einfach am Fuße großer Kalkwände gebouldert. Nach und nach haben wir uns immer mehr aufs Bouldern an sich konzentriert und angefangen, Blöcke dafür zu erschließen, hauptsächlich im Unterwallis.
Ab Anfang der 90er Jahre habe ich mich immer mehr in Richtung Bouldern orientiert und habe das sogenannte Sportklettern nur mehr sporadisch betrieben.
Und dann hast du auch mit dem Reisen begonnen?
Danach hatte ich die Gelegenheit zu reisen, zunächst in die USA, wo ich andere Kletterer wie Todd Skinner getroffen habe. Er war schon sehr viel gereist um neue Klettergebiete zu erforschen, etwa nach Asien und Afrika. Ich habe ihn in Hueco Tanks kennengelernt, wo ich sehr viel gebouldert und erschlossen habe. Er hat uns zum Beispiel von Südafrika erzählt, wo sich in der Region um Cederberg inzwischen ein richtiger Klettertourismus entwickelt hat. 1996 waren wir mit Todd Skinner und anderen Freunden – Scott Milton, Elie Chevieux und anderen – in Südafrika und konnten diese wunderbare Region in den Cederberg Mountains entdecken, in der man einen sehr besonderen Fels findet. Man findet ihn dort und zum Teil auch in Australien in den Grampians, dort ist der Fels ähnlich.
Wir haben mit der Entwicklung des Boulderns in jener Region begonnen. Ich würde sagen, das war einer der bedeutenden Meilensteine in meiner Entwicklung als Kletterer.
Die Suche nach neuen Gebieten hat mich immer motiviert. Es ist eine Aktivität, die ich ständig betrieben habe, auch in der Schweiz und im Tessin, in Gebieten wie Cresciano, die heutzutage jeder Kletterer kennt. Diese Gegenden waren vor allem für das Routenklettern bekannt. Dort haben wir das Bouldern entwickelt.
Natürlich hat es das Bouldern auch schon vorher gegeben, vor allem in Fontainebleau und auch ein wenig in der Schweiz. Der große Boom der 90er Jahre allerdings hat das Klettern weitgehend verändert und dazu geführt, dass inzwischen sehr viele Kletterer in diesen Gebieten anzutreffen sind. Was aber auch zu Problemen führt, etwa Erosion am Fels oder Müll.

Woher kommt diese Vorliebe fürs Bouldern – was macht es lohnenswert für dich? Die physische Aktivität, der Fokus auf einzelne Bewegungen? Ist es leichter, ein Boulderproblem als eine Sportkletterroute zu finden?
Die Suche nach einer Kletterlinie auf einem Block ist sehr ähnlich wie an einer Sportkletterwand. Natürlich ist es in gewissem Sinne einfacher und weniger anstrengend, weil man keine Bohrhaken setzen muss. Und die Linien sind manchmal klarer als am Fels.
Ich finde dieses Gelände einfach großartig. Das Erschließen eines Boulders hat einerseits eine kreative Seite, wenn wir nach einer Linie suchen. Vor allem aber öffnen wir uns unserem Umfeld, um uns einer Form anzupassen, die von der Natur vorgegeben ist. Dieser Aspekt fasziniert mich und ich spüre ihn beim Bouldern noch intensiver, weil hier der Zugang noch einfacher ist.
Man hat die Linie vor sich, ganz nahe, man liest sie und sieht eine bestimmte Form. Sie ist wie eine Partitur, geschrieben von der Natur, der Erosion, von Wasser und Wind. Sie haben im Fels eine Folge an Griffen geformt, aus denen eine Boulderlinie werden kann.
Die Natur gibt also die Linie vor. Gilt das nicht für das Klettern generell?
Ich glaube, im Alpinklettern ist es sehr ähnlich. Vielleicht beim Sportklettern weniger, weil hier mehr Struktur vorhanden ist und daher oft mehrere Routen möglich sind. Auch auf manchen Blöcken ist das möglich, aber eine wahre Boulderlinie, die von großem Wert ist, ist eine Linie, die da ist, die gegeben ist und wo es nicht viele Varianten gibt. Wahrscheinlich ist das aber auch bei Routen so.
War es die Suche nach solchen besonderen, natürlichen Linien, die dich für das Bouldern begeistert hat?
Beim Bouldern spüre ich eine große Freiheit, die mich sehr schnell fasziniert hat. Eine Freiheit und und einen sehr einfachen Zugang. Ich weiß nicht, ob es für mich einfach eine natürlichere Art war, meine Kreativität auszudrücken. Aber das ganze Milieu liegt mir mehr. Und nicht zuletzt finde ich, dass das Bouldern auch einen „erdigen“ Aspekt hat.
Wie würdest du deinen Stil beschreiben? Welche Art von Boulder liegt dir?
Mir gefällt eigentlich wirklich alles. Aber natürlich gab es verschiedene Phasen. Eine Zeit lang bin ich vor allem sehr technisch und an vertikalen Wänden geklettert, ein Stil, den man zum Beispiel in Saint-Loup findet.
Als ich mich eher auf das Bouldern konzentriert habe und zum Beispiel in Hueco Tanks war, habe ich Gefallen an einer eher athletischen Kletterei gefunden, die wahrscheinlich auch aktuelle meinem Körperbau mehr entspricht. Im Moment liegt mir überhängendes Gelände mehr.
Aber generell habe ich keine besonderen Vorlieben, ich weiß wirklich alles zu schätzen.
Insgesamt denke ich, dass mein Bestreben im Klettern – auch wenn es vielleicht etwas anmaßend klingt – kein rein sportliches sondern ein künstlerisches ist.
Muss eine Boulderlinie etwas Besonderes haben, um interessant zu sein?
Eine Boulderlinie muss etwas Besonderes haben. Gleichzeitig ist das etwas sehr Persönliches, was einem gefällt, muss nicht jedem gefallen. Dann wieder gibt es Boulderlinien, die fast alle gut finden.
Es braucht – eigentlich braucht es gar nichts! Ich glaube, dass die Linien schon da sind! Sie sind von der Natur vorgegeben, wir müssen sie nur entdecken. Es liegt an uns, ein Feingefühl dafür zu entwickeln und uns dieser Dimension zu öffnen.
In diesem Sinne glaube ich, dass das Klettern ein sehr gutes Mittel ist, um sich unserer Umgebung zu öffnen. Man lernt, zu erkennen. Viele Kletterer kommen aus einem städtischen Milieu. Durch das Klettern entdecken sie die Natur und die Umwelt. Ich finde, das ist einer der wichtigsten Aspekte unserer Tätigkeit. Wir sind nicht nur hier, um zu konsumieren und eine Aktivität auszuüben. Es geht vielmehr darum, einen Bezug zum Umfeld aufzubauen und einen respektvollen Umgang zu finden.
Du bist viel gereist und hast verschiedenste Bouldergebiete gesehen. Welche Gesteinsarten sind am besten für das Bouldern geeignet?
Tatsächlich sind sehr alte Gesteinsarten in der Regel auch reich an Griffen, da sie mit der Zeit und vor allem durch die Erosion sehr stark strukturiert wurden. Bei jüngeren Felsen ist das nicht so.
Es liegt häufig am Alter des Gesteins. Felsen, wie die in Südafrika, stammen aus der Zeit des Urkontinents Pangaea und gehören zu den ältesten der Welt. Die Erosion hat das Gestein wunderbar geformt. Ebenso in Norwegen, wo man äußerst alten Granit findet, der von der Erosion stark bearbeitet wurde und deshalb enorm viele Griffe aufweist. Auch in Hueco Tanks ist das Gestein sehr alt. Der Fels und sein Alter sind sehr wichtig für die Qualität der Kletterei.
Welche anderen Elemente sind wichtig, um ein Bouldergebiet attraktiv zu machen?
Das ist nicht einfach zu beantworten. Jedes Gebiet hat seine Eigenheiten und über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Ich glaube, man kommt zunächst in eine Region, weil man sich für die Blöcke oder das Klettern dort interessiert. Anfangs beachtet man vor allem den Fels, aber mit der Zeit entwickelt man einen tieferen Bezug zur Umgebung. Als Kletterer lernt man auf diese Art eine Region richtig kennen, und dieser Aspekt ist mir besonders wichtig.
Früher war ich vielleicht mehr auf das Klettern an sich fokussiert. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, mich der Schönheit dieser Orte zu öffnen. Es sind zumeist herrliche Gebiete, alle unterschiedlich mit ihrem ganz eigenen Charme. Ob es nun Fontainebleau oder die Grampians sind, die Orte sind fantastisch.
Klettergarten ist das deutsche Wort, welches jene Gebiete zwischen Wildnis und gepflegtem Umfeld beschreibt. Menschen halten sich dort auf, klettern, putzen die Blöcke und hinterlassen ihre Spuren. Was würdest du den Menschen sagen, wie sie sich in diesem Umfeld verhalten sollen?
Ich glaube, es ist interessant, von einem Garten zu sprechen. Es stimmt, dass sich eine Region ab dem Moment ihrer Entdeckung sehr schnell verändert. Ich war sehr erstaunt, in welchem Ausmaß diese Veränderung stattfinden kann. Wenn Bäume gefällt und Pflanzen ausgerissen werden, kann das zum Problem für die Region werden. In einigen wüstenähnlichen Gebieten etwa und auch in Gebieten in Europa, wo einige Bäume mehr als 100 Jahre alt sind, sind die Auswirkungen schlimm.
Auch wenn die Idee eines Gartens vielleicht etwas übertrieben ist, glaube ich doch, dass wir den Orten und der Natur mit Respekt begegnen müssen. Ich glaube, es ist notwendig, die Erhaltung der Gebiete durch Plattformen zu organisieren, Erosion durch Abnutzung zu vermeiden, Wege einzurichten. So bekommt der Begriff Klettergarten mehr und mehr Sinn.
Als Gärtner haben wir sozusagen die Aufgabe, die Unversehrtheit des Ortes zu bewahren und die Umwelt zu schützen, in der wir uns bewegen. Ich glaube, das kann nur durch eine respektvolle Interaktion gelingen.
Weißt du noch, wie viele Boulder du erschlossen hast?
Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich habe zwar eine Liste einiger Boulder, aber ich weiß es nicht genau. Eine Zeit lang waren mir Zahlen noch wichtig, aber jetzt nicht mehr. Für mich zählt mehr die Qualität der ganzen Erfahrung.
Ungefähr?
Einige tausend Boulder, davon einige hundert richtig schwierige Probleme zwischen 8a und 8c. Aber ganz genau weiß ich es nicht, es ist mir auch nicht mehr so wichtig.
Natürlich habe ich ein gutes Gefühl nach einem guten Klettertag, wenn ich etwas Schweres geschafft und etwas erreicht habe. Aber das ist nicht das Hauptziel, wenn ich klettere. Und ich denke, genau deshalb gelingt es mir weiterhin. Weil klettern einfach großartig ist, aber es geht nicht nur um die Leistung. Andernfalls würde man ab einem gewissen Punkt damit aufhören müssen, weil man nicht ein Leben lang in bester Form klettern kann. Auch wer nicht schwierige Grade klettert, kann etwas vom Klettern lernen.
Was diese Aktivität enorm bereichert, ist die Berührung mit der Natur. Jeder Tag ist anders und kann dich vieles lehren.
Welche Boulder haben für dich eine besondere Bedeutung? Sind es die schwierigsten Projekte die, an dich du dich später erinnern wirst?
Nicht unbedingt. Es könnten natürlich die schwierigsten sein, weil viele davon wirklich schön sind. Die Ästhetik der Linie ist mir wichtig. Aber das, was mir in Erinnerung bleibt, ist der Flow. Der Flow des Kletterns. Wenn dieses Gefühl da ist, wenn alles vom Start bis zum Top ein Flow ist, dann ist es einfach großartig! Es geht dann nicht um die Schwierigkeit, denn wenn du diese Welle spürst, dann ist es umwerfend.
Es ist eine Erfahrung, die ich nur beim Klettern so erlebe. Ich liebe den Flow einer richtig schönen Kletterlinie.
Du malst und schreibst auch gerne. Hast du hier einen ähnlichen Zugang? Gibt es eine Verbindung im Prozess, suchst du auch hier nach dem Flow?
Bestimmt gibt es hier Ähnlichkeiten. Es ist eine empirische Art und Weise etwas zu schaffen, die mit einer Art Brainstorming anfängt und dann zu fließen beginnt. Es ist zwar nicht dasselbe, aber der Zugang ist ähnlich.
Findest du ein Flow-Gefühl, wenn du malst oder schreibst?
Wenn alles gut geht, dann schon. Aber das ist beim Klettern auch so. Einige Versuche sind schrecklich und dann gibt es wieder Tage, an denen alles fließt. In der Kunst ist es dasselbe, manchmal klappt es, manchmal nicht. Der Flow ist nicht immer da, aber genau das verleiht ihm seine Magie! Es ist eine wunderbare Erfahrung.
So gesehen ist es eigenartig, dass man beim Bouldern von Problemen und Schwierigkeiten spricht, die man lösen muss.
Vielleicht sollte es dafür andere Begriffe geben. Aber vielleicht ist diese Art und Weise der Kommunikation ein Versuch, das Klettern generell und den entsprechenden Lebensstil zu rechtfertigen und professioneller darzustellen. Denn wenn wir irgendwo unsere Energie investieren, soll es etwas bringen. Vielleicht spiegelt es nicht ganz den richtigen Zugang wider. Die Idee des Freikletterns war ein wenig anders als die des heutigen Sportkletterns, die einen engeren Fokus setzt. Freiklettern würde ich als Wort vorziehen, weil es offener ist.
Danke, Fred!
Portait Fred Nicole

Der Schweizer Fred Nicole hat als einer der ersten Kletterer das Bouldern – das Klettern in Bodennähe ohne Seil – zu seiner Hauptdisziplin gemacht. Zahlreiche Erschließungen und Erstbegehungen gehen auf sein Konto, so etwa in den südafrikanischen Rocklands, in Hueco Tanks in Texas oder im Schweizer Tessin. Trotz seiner Erfolge pflegt er einen bescheidenen und einfachen Lebensstil, der auch seine Haltung dem Klettern gegenüber prägt: Er liebt die Natur und schöne Linien am Fels, betrachtet den Wettbewerb um Schwierigkeitsgrade aber als zweitrangig. Fred lebt und arbeitet mit seiner Partnerin Mary Gabrieli in Zürich.
The Swiss climber Fred Nicole was one of the first to pursue bouldering – climbing near the ground without a rope – as his main discipline. He has established countless boulder lines and cutting-edge problems, including in the South African Rocklands, in Hueco Tanks in Texas and in Ticino, Switzerland. Despite his successes, he likes to lead a humble and simple lifestyle. This is also visible in his attitude to climbing, since he loves nature and beautiful lines on the rock, but considers competition regarding difficulty grades to be of secondary importance. Fred lives and works with his partner, Mary Gabrieli, in Zurich.
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Arnaud Petit im Interview
Wie könnte man deinen Stil als Erschließer beschreiben? Bis du ein Perfektionist?
Ich glaube schon, dass ich perfektionistisch bin. Manchmal könnte ich 4 Stunden lang irgendwo hin gehen, nur um einen Bohrhaken nochmal um 30 Zentimeter zu versetzen, weil die Linie nicht ganz harmonisch verläuft oder der Seilzug zu groß ist. Aber ich glaube auch, dass jeder Erschließer irgendwie perfektionistisch ist.
Insgesamt habe ich mehr Mehrseillängen als einzelne Routen erschlossen. Eine meiner großen Leidenschaften ist das Erschließen von Routen von unten, denn das hat eine alpinistische Seite und ist wie ein Abenteuer. Auch Sportkletterrouten können manchmal von unten erschlossen werden, aber meistens ist es logischer, sich von oben abzuseilen, um die Sache perfekt zu machen.
Was ziehst du vor, Routen zu klettern oder zu erschließen?
Ich würde das Erschließen vorziehen. Ich würde sogar sagen, ich bin ein großer Liebhaber dieser abenteuerlichen Tätigkeit. Neue, auch leichte Mehrseillängen-Touren zu eröffnen, wird mir immer ein großes Vergnügen sein. Wenn ich Routen wiederhole, die es schon gibt, spüre ich nicht denselben Entdeckergeist und das Abenteuer. Auch wenn ich weiß, dass ich später keine richtig schwierigen Mehrseillängen machen werde.

Warum hat diese Tätigkeit eine so große Bedeutung für dich?
Beim Erschließen setze ich meine Träume und Vorstellungskraft in die Realität um. Das ist eine große Chance. In vielen Bereichen ist es schwierig, sich die schönste Sache der Welt auszumalen und es dann tatsächlich auszuprobieren. Beim Klettern kann man das durch das Erschließen machen.
Mir gefällt außerdem, dass es beim Erschließen keinen Maßstab gibt. Es gibt keinen direkten Vergleich wie beim Klettern. Beim Klettern geht es immer auch um den Schwierigkeitsgrad, darum, ob die Bewertung hart ist, ob man in Form ist oder früher mal besser war. Auch wenn man an sich arbeitet, gibt es solche Situationen beim Klettern immer wieder.
Beim Erschließen ist das Schwierigkeitsniveau zweitrangig, denn es geht vor allem darum, eine wunderbare Linie zu finden, ihr zu folgen und die Sicherungen richtig zu setzen. Dabei ist man so konzentriert, dass man an nichts anderes denkt. Das ist meine Leidenschaft und eine Aktivität, die mich voll und ganz erfüllt und glücklich macht.
Wie würdest du die Tätigkeit eines Erschließers beschreiben – ist es eine strategische Sache oder eher etwas Kreatives?
Ich würde nicht von Kunst sprechen, sondern von Handwerk. Ein Erschließer arbeitet mit seinen Händen, deshalb ist er für mich kein Künstler, sondern eher ein Handwerker. Wer das Heimwerken mag und ein Kletterer ist, der wird in der Erschließung von Routen eine große Erfüllung finden.
Du unterrichtest Kletterer im Routen Einbohren und gibst dein Wissen weiter.
Ich versuche, meine Leidenschaft für das Erschließen an andere weiterzugeben. Ich mache das in Privatkursen oder auch für die FFME (Fédération Française de la Montagne et de l’Escalade), zum Beispiel mit Jugendgruppen. Normalerweise sind es starke Kletterer, mit denen ich zunächst Sportkletterrouten einbohre, um danach auch Mehrseillängen zu erschließen.
Ich glaube, dass das Erschließen essenziell ist. Vor allem junge Kletterer sind es gewohnt, dass viele Routen einfach da sind. Aber die Kletterer werden besser und ohne die Erschließertätigkeit gibt es auch nichts Neues zu probieren. Zum Glück gibt es aktive Kletterer, die auch Routen einbohren, so wie Dani Andrada und Chris Sharma, aber auch einige junge, wie Adam Ondra.
Viele Kletterer interessieren sich nur für den sportlichen Aspekt, das Erschließen jedoch ist zunächst anstrengend und mit harter Arbeit verbunden. Es ist kein Training – im Gegenteil, man bekommt eher Rückenschmerzen davon. Aber jene Kletterer, die einmal damit anfangen, werden vom Entdeckergeist gepackt und möchten auch nicht mehr aufhören.
Es ist ein bisschen wie ein eigener, einzigartiger Sport. Wir können unser Spiel selbst erfinden und unser eigenes Spielfeld gestalten.
Glaubst du, dass es ein Reglement für das Erschließen braucht?
Nein, ich glaube nicht. Meiner Meinung nach erfolgt die Qualitätssicherung normalerweise über das Urteil der anderen Kletterer. Wer seine Sache schlecht macht, wird das auch zu hören bekommen. Die Community der Kletterer kann sehr hart urteilen. Wer sich an das Erschließen einer neuen Route wagt, ist deshalb gut beraten, zunächst von anderen zu lernen und Erfahrungen zu sammeln.
Ich glaube, dass der Druck durch andere Kletterer genügt, sodass ein Diplom nicht notwendig ist. Ich glaube aber, dass das Erschließen mehr noch Teil von Kursen für Bergführer und Kletterlehrer sein sollte.
Es sollte also jedem selbst überlassen sein, ob er sich ausbilden lässt?
Ein Kurs könnte obligatorisch sein, aber ich glaube nicht, dass es eine Prüfung dafür braucht. Wer beruflich klettert oder mit dem Klettern zu tun hat, sollte ohnehin eine Ahnung vom Erschließen haben. Das ist heute extrem wichtig. Viele Gebiete in Europa wurden vor etwa 25 bis 30 Jahren erschlossen, das ist lange her. Viele Routen müssen saniert werden, dazu braucht es die Hilfe aller Kletterer.
Ich gehöre einer französischen Organisation an, die sich Greenspits nennt. Ähnlich wie der Access Fund in den USA widmet sie sich unter anderem dem Thema der Sanierungen. Wir möchten die Kletterer motivieren, sich aktiv einzubringen. Wer im Klettergarten beobachtet, dass ein Spit locker ist oder ein Stand ausgetauscht werden muss, der soll es melden oder selber Hand anlegen. Ich finde, dass alle Kletterer für die Pflege des Geländes verantwortlich sind. Ebenso sollte jeder fähig sein, die Qualität der Absicherung einzuschätzen. Die Selbstverantwortung ist Teil des Kletterns, denn es ist mehr als nur ein Sport.
Hast du das Gefühl, dass Erschließer genügend Anerkennung durch die Kletter-Community erhalten?
Ich denke, dass man diese Arbeit ohnehin macht. Weil es einem gefällt. Und das ist die beste Garantie dafür, dass das Ergebnis gut wird, denn für sich selbst möchte man es perfekt machen. Es ist schön, wenn der Name des Erschließers in einem Topo erwähnt wird. Oder wenn er die Wertschätzung anderer Kletterer erfährt. Aber wer sich über fehlende Anerkennung beschwert, der sollte wissen, dass niemand von ihm verlangt hat, Routen einzubohren.
Wenn du nach Anerkennung strebst, dann ist es sicher nicht das beste Routen einzubohren. Es muss dir wirklich gefallen. Man kann die anderen nicht ändern, aber man kann seine eigene Einstellung ändern. Wenn dir die Tätigkeit an sich gefällt, du mit einer Route zufrieden bist und vielleicht deine engsten Freunde auch Gefallen daran finden – dann kann das für dich schon wunderbar sein.
Du bist viel gereist. Welches Klettergebiet war das beeindruckendste für dich?
Die Taipan Wall in Australien. Auch die Wand des Sektors Biographie in Céüse ist außergewöhnlich schön. Aber ich war noch nie in Smith Rock, das stelle ich mir auch beeindruckend vor, sehr vertikal und glatt. Taipan Wall in den Grampians in Australien ist eine wunderschöne, orangefarbene Wand. Und damit meine ich auch, dass sie sehr glatt und deshalb nicht voll von Kletterrouten ist. Hier ist sehr viel Platz, ein wenig wie in Biographie.
An manchen Orten werden die Erschließungen meiner Ansicht nach zu sehr auf eine fast industrielle Weise betrieben. Es werden einfach von links nach rechts so viele Routen wie möglich eingebohrt, um eine Sportstätte zu schaffen. Ich nenne das „boulimique“ – „bulimisch“. Das sind jene Erschließer, die sich in Konkurrenz mit anderen sehen und auf Druck einen ganzen Sektor alleine einbohren wollen.
Natürlich gibt es dasselbe auch bei Mehrseillängen und im Alpinismus. Jeder möchte Erstbegehungen machen. Aber ich finde, es geht nicht darum, deinen Namen zu verewigen. Wenn ich eine Route eröffne, ist es für mich viel spannender, das Privileg zu haben, diesen Felsen zu entdecken und vielleicht die schönste Seillänge zu klettern, die ich je gefunden habe. Es gibt hier keinen anderen Maßstab.
Welche Zukunft siehst du für das Klettern und für Klettergärten?
Ich sehe der Zukunft sehr positiv entgegen. Immer mehr Kletterer interessieren sich auch für das Trad-Klettern und so werden immer neue Routen erschlossen. Vielleicht wird es in Zukunft andere Methoden der Erschließung geben, vielleicht gemischte Routen, Trad und Absicherung durch Bohrhaken.
Man kehrt zum Abenteuer zurück, zur Kreativität und das ist gut so. Das Reisen wird einfacher und so wird man immer neue Gebiete entdecken.
Andererseits glaube ich auch, dass in der Sanierung von Routen sehr viel Potenzial liegt. Auch hier kann man kreativ werden, denn manchmal kann eine alte Route verbessert werden, indem die Spit neu gesetzt und die Linie leicht abgeändert wird, falls notwendig.
Hast du eine spezielle Beziehung zu den Routen, die du erschlossen hast? Bleiben sie dir in Erinnerung?
Bestimmte Erinnerungen bleiben. Interessanterweise erinnert man sich an ganz kleine Details am Fels. Erschließen ist eine Sache, aber dann kletterst du die Route. Und das gefällt mir, wenn ich die Route, die ich eingebohrt habe, klettern kann. Ich erinnere mich dann an ein kleines Stück Fels, an eine Form, die ich zum ersten Mal berühre und dann wieder. Und dieses kleine Detail bleibt mir im Kopf. So seltsam es ist, aber wenn ich später an diese Route denke, dann fallen mir diese ganz kleinen Details ein. Vielleicht die kleine Blume am Standplatz der Route. Der ganze Prozess ist eine ganz spezielle Erfahrung der Sinne. Meine Frau Stéphanie und ich sagen dazu, „sich auf das unendlich Kleine im unendlich Großen fokussieren“. Auf Französisch: „se focaliser sur l’infiniment petit, dans l’infiniment grand“. Das unendlich Große ist die Welt.
Ist es dir wichtig, einer Route einen Namen zu geben?
Nein, das ist mir nicht so wichtig. Aber eine Route, die zu einem weltbekannten Klassiker wird, sollte keinen Witznamen haben. Ich würde einer wunderschönen Route mit zehn Seillängen in einer abgelegenen, marokkanischen Schlucht keinen Namen wie „Big Boob“ geben. Dafür ist mir die Erfahrung zu wertvoll. Es gefällt mir, wenn der Name einen Bezug zum Ort hat, in dem sich die Route befindet.
Wie lange brauchst du, um eine Route erschließen?
Zeit spielt dabei eigentlich keine große Rolle. Für eine Sportkletterroute in Céüse, wo der Fels sehr sauber ist, vielleicht drei bis sechs Stunden insgesamt. Aber wichtiger ist es, eine schöne Linie zu finden, die nicht zu nah an die anderen Routen heranführt. Und manchmal ist es auch besser, nochmal darüber nachzudenken und am nächsten Tag wiederzukommen.
Vor allem beim Erschließen von Mehrseillängen ist die Zeit kein wichtiger Faktor. Manchmal brauchen wir fünf Tage, manchmal acht oder neun. Ich mag es, die Arbeit in Ruhe und mit Sorgfalt zu machen. Keinen Maßstab zu haben bedeutet, dass ich mir Zeit lassen kann. Das ist ein schönes Gefühl der Freiheit.
Danke, Arnaud!
Portrait Arnaud Petit

Der französische Kletterer, Buchautor und Bergführer Arnaud Petit ist für seine Erstbegehungen und Bigwall-Expeditionen in abgelegenen Gegenden weltbekannt. Nach einer erfolgreichen Karriere im Wettkampfklettern (Weltcup-Sieger, Europameister Lead 1996) hat er sich ganz dem Felsklettern zugewandt. Gemeinsam mit seiner Frau Stéphanie Bodet bereist Arnaud die Welt auf der Suche nach eindrucksvollen Linien und unberührten Wänden. Als Wohnort hat sich das Paar ein kleines Haus unterhalb des berühmtes Felsriegels von Céüse gebaut.
The French climber, author and mountain guide Arnaud Petit is known around the world for his first ascents and big wall climbs in remote areas. After enjoying a successful career as a competitive climber (1996 World Cup winner, European Lead Champion), he decided to dedicate himself fully to rock climbing. Together with his wife, Stéphanie Bodet, Arnaud loves to travel the world in search of impressive lines and untouched walls. The couple live in a small house that they built underneath the famous crag of Céüse.
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Chris Sharma im Interview
Was bedeutet das Klettern für dich?
Das Klettern ist für mich sehr viel mehr als nur ein Sport. Mein Leben war schon immer in vielerlei Hinsicht mit dem Klettern verbunden, schon seit meiner Kindheit. Mit dem Erwachsenwerden bin ich auch als Kletterer gewachsen.
Klettern ist ein Sport und wir können unsere Leistung mit anderen messen, aber es geht dabei auch um eine persönliche Reise. Beim Klettern kann ich ganz ich selbst sein und fühle mich völlig frei, mein eigenes Ding zu machen. Neben Erstbegehungen hat mich auch die Entdeckung neuer Felsen und das Einbohren neuer Routen immer schon fasziniert.
Als ich angefangen habe, neue Routen zu erschließen, anstatt sie nur zu wiederholen, habe ich als Kletterer einen großen Schritt nach vorne gemacht. Allen, die mich an das Klettern herangeführt haben, bin ich natürlich sehr dankbar. Aber als ich angefangen habe, auf eigene Faust zu klettern, neue Felsen zu erkunden und neue Routen zu erschließen, habe ich meine eigene Vision für das Klettern entwickelt. Das empfand ich als unglaublich befreiend.

Wann und wo hast du angefangen, neue Routen zu erschließen?
Erstbegehungen habe ich schon von Anfang an gemacht. Beim Bouldern mit Freunden kam es oft zu spontanen Entdeckungen. Wir bürsteten den Felsen ein wenig ab, fingen an zu klettern und richteten neue Routen ein. Später habe ich das auch an anderen Orten wie Hueco Tanks und Utah gemacht.
Der nächste große Schritt war dann, nach demselben Prinzip neue Routen für das Seilklettern zu erschließen. Das Einbohren einer neuen Linie ist sehr viel komplizierter, denn der Arbeitsaufwand ist deutlich höher und auch die Logistik will geplant sein. Jeder Bohrhaken muss einzeln fixiert werden. Diese Erfahrung hat mir eine ganz neue Welt eröffnet. Eine neue Kletterroute einzurichten und damit etwas zu schaffen, das anderen eine Freude bereitet, ist unglaublich befriedigend. Man schafft etwas, das jahrhundertelang besteht und an dem sich jemand immer wieder aufs Neue ausprobieren kann.
Die Entstehung einer Route ist ein spannender Prozess: Am Anfang ist da nur ein Fels, ein beliebiges Stück Erde. Wenn es uns gelingt, damit zu interagieren, wird es beinahe zu einem Kunstwerk. Das Klettern kann sich von einer Sportart wirklich in eine Kunstform verwandeln – das finde ich faszinierend. Für mich sind diese Routen und Boulder wie eine Art Skulptur.
Ich denke, ich konnte den Klettersport durch die Routen, die ich geschaffen habe, nachhaltig prägen. Ich habe immer versucht, schöne und spektakuläre Routen an besonderen Orten zu finden. Außergewöhnliche Locations gehören für mich zur Faszination des Kletterns dazu.
Was macht ein Klettergebiet besonders?
Grundsätzlich suche ich nach schönen Orten mit einem tollen Gestein, die mich irgendwie inspirieren.
Andererseits hat auch jeder Ort für sich etwas Einzigartiges. Ich hatte das Glück, an die schönsten Felswände der Welt zu reisen. Da steigen die Ansprüche schnell nach oben. Aber in Santa Cruz, wo ich herkomme, hatten wir zum Beispiel eine kleine Boulderwand am Strand. Das war bei weitem keine Weltklasse-Destination, zu der man unbedingt hinfahren musste. Es gab da wirklich nur diese kleine Wand mit ein paar Griffen, das war’s. Da wir aber nichts Anderes hatten, wussten wir den Ort wirklich zu schätzen. Und ich denke durch unsere Einstellung machten wir ihn zu unserer eigenen Weltklasse-Destination.
Ich bin deshalb fest davon überzeugt, dass wir unser Umfeld allein durch unsere Einstellung wirklich verändern können. Man kann sich am schönsten Ort der Welt befinden und ihn überhaupt nicht zu schätzen wissen. Umgekehrt können wir mit den richtigen Leuten und der richtigen Einstellung jeden beliebigen Ort zum besten Ort der Welt machen. Unsere Einstellung spielt eine unglaublich große Rolle.
Im Deutschen spricht man von Kletter-Gärten.
Einen Ort zum Klettern als „Garten“ zu bezeichnen finde ich toll und durchaus passend. Denn die Orte, an denen wir klettern, sind immer auch Begegnungsstätten. In Oliana zum Beispiel kann man wunderbar beobachten, wie sich die Menschen treffen, um das Klettern und die Natur gemeinsam mit ihrer Familie und Freunden zu erleben.
Welcher Ort hat dich persönlich am meisten inspiriert?
Es gibt unzählig viele Orte, die mich inspirieren. Angel Falls ist bestimmt eines der spektakulärsten Gebiete, die ich je gesehen habe. Und dann Mallorca – mit Psicobloc über dem Meer – ist sicher der Ort, auf den ich mich jedes Jahr am meisten freue.
Aber wie gesagt: Ich bin in der Hinsicht ziemlich verwöhnt – nicht jeder hat die Möglichkeit, solche exotischen Orte kennenzulernen. In Wahrheit liegen die schönsten Plätze oft direkt vor unserer Haustür. Das ist zu einem großen Teil einfach Einstellungssache.
Wie siehst du die Zukunft des Kletterns? Denkst du, dass beliebte Gebiete überlaufen und verschmutzt sein werden?
Die Klettergebiete werden voller werden, keine Frage. Das hat eine gute und eine schlechte Seite. Einerseits erleben wir gerade eine spannende Zeit: Der Klettersport wächst und entwickelt sich enorm weiter. Immer mehr Menschen entdecken diesen großartigen Sport, der ihr Leben auf dieselbe wunderbare Art verändern kann wie er auch unser Leben verändert hat. Andererseits werden bestimmte Gebiete dadurch immer voller und die durch das Felsklettern bedingte Umweltbelastung wird sich verstärken. Manche stehen diesem Wachstum kritisch gegenüber und sind besorgt, dass irgendwann alles total überlaufen sein wird. Aber ich denke, wir als Community müssen hier gemeinsam eine Lösung finden, die Menschen zum respektvollen Umgang zu erziehen.
Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich ein Anfänger war. Als ich an den Felsen kam, wurde ich freundlich aufgenommen. Das war mit ein Grund, warum mich das Klettern so begeistert hat, und dieses Gefühl möchte ich auch weiterhin an andere weitergeben. Die relativ überschaubare Größe der Kletter-Community ist etwas Einzigartiges. Wir sind wie eine Familie. Das müssen wir uns erhalten. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir alle Kletterer sind und wo unsere Wurzeln liegen. Und dann müssen wir Schutzmaßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass wir die Umwelt nicht belasten und respektvoll miteinander umgehen.
Das Klettererlebnis sollte für alle gleich sein. Egal, ob man eine 9b oder 5c probiert – Klettern ist der Versuch, an seine Grenzen zu gehen. Es geht darum, sein vertrautes Terrain zu verlassen und etwas zu versuchen, das man für sich selbst nicht für möglich hält, um dann – durch den Prozess – zu erfahren, dass es doch möglich ist. Die Erkenntnis, dass man mehr kann als man sich selbst zutraut. Das ist eine Erfahrung, die jeden Menschen berührt. Im Wesentlichen geht es beim Klettern um nichts Anderes. In erster Linie zählt die Erfahrung und nicht die Tatsache, dass man eine 9b klettert. Deshalb sollte jeder, der nach diesem Prinzip klettert, als Kletterer anerkannt und genauso respektvoll behandelt werden wie ich oder jemand anderes.
Was würdest du einem jungen Kletterer empfehlen, der anfangen möchte, neue Routen einzubohren??
Manche Leute sind der Meinung, dass es mehr aktive Kletterer geben sollte, die neue Routen erschließen. Wir als Community sollten denjenigen, die diese Arbeit machen, dankbar sein. Ich denke aber nicht, dass jeder einbohren sollte, denn es erfordert sehr viel Erfahrung. Macht man es falsch, kann man eine Felswand wirklich verunstalten und die Sicherheit anderer gefährden. Wer klettert, vertraut sein Leben den Haken an, die andere Erschließer eingebohrt haben.
Wenn ein Kletterer eine neue Route einrichten möchte, würde ich ihm empfehlen, sich zur Unterstützung an einen erfahrenen Kletterer zu wenden. Beim Erschließen geht es nicht um Quantität, sondern um die Qualität der Route. Zwischen Kunstwerk und Verunstaltung verläuft nur eine feine Linie. Beim Einbohren ist ein gutes Urteilsvermögen gefragt – und das entwickelt man mit der Erfahrung.
Wer erst seit wenigen Jahren klettert sollte das Einbohren lieber anderen überlassen und sich stattdessen auf die Verbesserung seiner Technik konzentrieren, an verschiedenen Orte klettern und lernen, was eine gute Route ausmacht. Aus der Perspektive kann man dann besser einschätzen, wie man das Einbohren richtigmacht.
Es ist ein interessantes Thema, wofür es derzeit noch keine Regulierung gibt.
Sollte es die denn geben??
Ich denke ein gewisses Maß an Regulierung wäre keine schlechte Idee. Eine Art Zertifizierung fürs Einbohren fände ich durchaus interessant. Aber das ist eine heikle Angelegenheit. Wenn man sich die ganzen Regulierungen im Bauwesen ansieht und was dort alles von Ingenieuren genehmigt werden muss, bin ich ziemlich sicher, dass bei unseren Kletterrouten ein anderer Maßstab angewandt werden müsste. Das heißt, man müsste hier ein bestimmtes Mittelmaß finden.
Danke, Chris!
Portrait Chris Sharma

Chris Sharma ist einer der stärksten Kletterer der Welt und ein wichtiger Botschafter dieses Sports. Er ist für seinen dynamischen Kletterstil und eine bescheidene, meditative Lebenseinstellung bekannt. Chris hat einige der weltweit schwierigsten und spektakulärsten Erstbegehungen geschafft, darunter Realization in Céüse, als erste Routen der Welt mit 9a+ bewertet, und die über 70 Meter lange Jumbo Love (9b) in Kalifornien. Mit der Begehung von Es Pontas in Mallorca hat er einen Meilenstein in der Disziplin des Deep Water Soloing gesetzt. Der gebürtige US-Amerikaner lebt mit seiner Familie in Katalonien.
Chris Sharma is one of the world’s strongest climbers and an important ambassador of the sport. He is known for his dynamic style of movement and his humble, meditative approach to life. Chris has made some of the most difficult and spectacular first ascents, such as the over 70-meter-long Jumbo Love (9b) in California and Realization in Céüse, the first-ever route graded 9a+. He is a pioneer of deep-water soloing, having climbed the testpiece Es Pontas in Mallorca. Originally from the USA, Chris lives with his family in Catalonia.
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