Bowron Lakes: Das kanadische Wildnisabenteuer - Infos, Bilder, Report

    Wildnisparadies Bowron Lakes in Kanada - per Kanu
    Bowron Lakes: Das kanadische Wildnisabenteuer - Infos, Bilder, Report

    Die Bowron Lakes in der kanadischen Provinz British Columbia sind das ideale Revier für ganz große Wildnis-Abenteuer. Die Schweizer Familie Tolusso paddelte mit drei Kindern auf eigene Faust durch das Reich der Elche, Bären und Weisskopfseeadler.

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    Foto: Stefan Tolusso

    Fiona spielt mit den Gurtbändern ihrer Kinderschwimmweste und schaut über den See. Bewaldete Hänge laufen von beiden Seiten flach zu seinem Ufer hin, darüber ragen die schneebedeckten Gipfel der Cariboo Mountains auf. Plötzlich kräuselt eine Brise den Lake Isaac und zerstört die perfekte Spiegelung von Bergen, Himmelblau und Schönwetterwölkchen. Fionas Vater Stefan Tolusso lenkt den Bug des Kanus in Richtung des Fluchtpunktes – jener Stelle in der Mitte des Blickfeldes, wo sich Himmel, Berge, Wasser und die Ufer des nur etwas mehr als 1000 Meter breiten Sees scheinbar treffen. Doch wie das mit Fluchtpunkten so ist: Man erreicht sie nur schwer.

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    Drei Tage dauert die Fahrt über den Lake Isaac

    Der See erstreckt sich wie mit dem Lineal gezogen 32 Kilometer in südöstliche Richtung. Er bildet die nördliche Seite eines Trapezes, das die zwölf Gewässer der »Bowron Lakes« auf der Karte beschreiben. Etwa 100 Kilometer müssen Kanuten paddeln, wollen sie den »Bowron Lake Circuit« auf seiner gesamten Länge befahren. So wie Fiona (8), ihre beiden Geschwister Mario (11) und Olivia (13) und ihre Eltern. Die Schweizer Familie will die wohl bekannteste Kanurunde der kanadischen Provinz British Columbia in zehn Tagen absolvieren. Kanu-Verleiher und kom­merzielle Reiseanbieter nennen das eine Expedition, sagt Stefan Tolusso. Man merkt dem 49-jährigen Geschichtslehrer an, dass er die Wortwahl für etwas hochgegriffen hält. »Ernst nehmen muss man den Wildnistripp aber schon«, räumt er ein.

    Die Bowron Lakes liegen auf derselben geografischen Breite wie Hamburg und auf 1000 Metern Höhe. Selbst im Sommer kann es hier empfindlich kalt werden, mit Wettereinbrüchen und Gegenwind muss man jederzeit rechnen. Etwas Wildnis-Erfahrung haben die Tolussos von zu Hause mitgebracht: Die Familie tourt regelmäßig durch die heimischen Berge, Stefan Tolusso klettert seit seinem sechzehnten Lebensjahr, und auch die Kinder sind beileibe keine »Stadtpflänzchen«.

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    Stefan Tolusso

    Trotzdem beschleicht die Eltern ein mulmiges Gefühl, als sie mit ihren Kindern, zwei Kevlar-Kanadiern und 90 Kilo Gepäck von der Nationalparkstation über den zweieinhalb Kilometer langen Pfad Richtung Kibbee Lake ziehen. Wird der Proviant für die zehn Tage und fünf hungrigen Mäuler reichen? Werden die Kinder meutern? Bleiben alle gesund? Und was ist mit den Schwarzbären und Grizzlies? Die Rangerin in der Parkstation hat den Tolussos den für Besucher obligatorischen, 20 Jahre alten Film abgespielt, der über den Umgang mit den Raubtieren informieren soll. Und ihnen mit auf den Weg gegeben: »Wer einen Bär sieht, darf sich glücklich schätzen!«

    Die Empfehlungen des Nationalparkmanagements

    Zu Beginn befolgen die Tolussos peinlichst genau die Empfehlungen des Nationalparkmanagements. An jedem Camp stehen in einiger Entfernung zu den Zeltstellen Bärenboxen bereit, in denen alles verstaut wird, was irgendwie riecht. Dazu zählen neben Proviant und Kochgeschirr auch die tagsüber getragenen Kleidungsstücke. Bären mit ihren empfindlichen Nasen sind so neugierig, dass sie zuweilen sogar Zahnpastageruch folgen. Mit ins Zelt kommen nur Schlafsäcke, Isomatten und Stirnlampen. Mehr zur psychologischen Unterstützung liegt das Bärenspray bereit, daneben die Axt und das Schweizer Taschenmesser. Doch so neugierig und gefräßig die Bären auch sind, so scheu reagieren sie auf Geräusche wie fröhliche Kinderstimmen oder den Schein eines nächtlichen Lagerfeuers. Und nach einem Tag voller Paddeln, Zeltaufbauen, Feuermachen und Kochen bleibt abends im Zelt nicht mehr viel Energie, um sich über Bären Sorgen zu machen.

    Mit der Zeit zerstreuen sich die Bedenken und aus der Furcht, einem Bären zu begegnen, wird allmählich der Wunsch, endlich mal einen zu sehen. Und so tasten tagsüber fünf Augenpaare angestrengt das Ufer ab. »Papi, schau da«, flüstert Fiona aufgeregt und deutet an Land. Stolz und erhaben sitzt er da – nein, kein Bär, sondern Fionas erster Weißkopfseeadler. Von einem Tannenwipfel aus beäugt er die Wasseroberfläche auf der Suche nach Beute. Mit bedachten Bewegungen, um das Tier nicht aufzuscheuchen, kramt Stefan im Rucksack. Wo steckt denn schon wieder der Fotoapparat? Er hat Glück, der Adler hält still und lässt sich porträtieren.

    Andere halten nicht so still. Wenig später schießt ein anderer Weißkopfadler auf die Wasseroberfläche herab, greift sich einen Fisch und macht sich daran, seine Beute am nahen Ufer zu verzehren. Doch ein größerer Artgenosse will ihn vertreiben. Über den Streit der Luft-Könige freut sich der Dritte: ein Seeotter. Er schnappt sich den Fisch und verschwindet im Wasser.

    Stefan Tolusso hat Lust auf mehr bekommen. Er schält sich ab jetzt in der Dämmerung aus seinem Schlafsack, die beste Zeit für Tierbeobachtungen. Und während seine Familie noch in den warmen Daunen schlummert, gleitet er in einem leeren Kanu durch die morgendliche Stille. »Man war nicht wirklich in Kanada, hat man diese frühen Momente nicht erlebt«, sagt er. Sanft kriecht das Sonnenlicht dann die Hänge hinunter, fängt sich in den Nebelschwaden, durchdringt sie mit ihren Strahlen und schimmert auf dem du­nklen Wasser des frühen Morgens.

    An seichten Stellen kommen manchmal um diese Zeit Elche zum Äsen aus den Wäldern. Oft haben die Tiere keine Angst vor dem Boot. Ohne Eile stapfen sie durchs Sumpfgras ins Wasser, wo sie am Flussgrund Wasserpflanzen abknabbern, offenbar ein besonderer Leckerbissen, denn sie tauchen den Kopf dafür bis zu einer halben Minute ins Wasser. Als eine Elchkuh immer weiter hinauswatet, schickt sie ihr Junges mit einem Knurren zurück hinter das schützende Buschwerk – und erinnert Stefan Tolusso daran, dass bestimmt auch seine Kinder langsam frühstücken wollen.

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    Paddelabenteuer auf den Bowron Lakes

    Am fünften Tag wartet eine der spannendsten Herausforderungen auf der Strecke: Am Ende des Isaac Lakes führt eine Stromschnelle vom See in den Fluss. Das schnell fließende Wasser wirft auf einer Länge von etwa 30 Metern stehende Wellen auf. Für routinierte Paddler kein großes Problem, aber für nicht ganz so sattelfeste ein Abenteuer. Die Tolussos zählen sich zur zweiten Gruppe: Richtig paddeln gelernt haben sie erst hier, auf den Bowron Lakes, und bisher verlief die Fahrt auch ohne technische Schwierigkeiten.

    Und nun stehen Fiona und die anderen auf der gut ausgebauten Umtragestrecke neben der Stromschnelle und beobachten andere Paddler dabei, wie sie die Schnelle meistern. Jedes Familienmitglied fragt sich: Fahre ich runter oder lasse ich es bleiben? Für Olivia und den nicht wasserdichten Teil des Gepäcks entscheidet Mutter Tolusso: »Wir sind hier erst auf der Hälfte der Tour. Was, wenn die Zelte nass werden? Wenn die Nudeln untergehen?« Und so schieben Rita und ihre älteste Tochter ihr Boot und einen Teil des Gepäcks über den Waldpfad. Mario, Fiona und Stefan sind entschlossen zu paddeln. Mit wenig Gepäck und viel Schwung meistern sie ihre erste kleine »Wildwasserstelle«.

    Ein paar Kilometer weiter, als der Cariboo River in den Lanezi Lake mündet, müssen aber alle ran. Schlammbraun schäumt der Fluss, Wirbel künden von Hindernissen unter der Oberfläche. Und hier führt kein Weg am Ufer entlang. Fünf Herzen klopfen wild, als die beiden Boote in die schwierige Stelle einfahren. Doch es klappt! Danach fällt die Anspannung ab, auch von Mutter Tolusso. Die Bären bleiben im Wald, die Kinder gesund und die Nudeln trocken, bis sie am letzten Tag im Topf landen.

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    Wildnisparadies Bowron Lakes: Karte und Reiseinfos

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    Charakter
    Als »Bowron Lakes« wird eine Kette von zwölf Seen bezeichnet, die sich durch Flüsse und Tragestellen zum Bowron Lake Circuit verbinden lassen. Die reine Paddelstrecke auf stehenden Gewässern beträgt dabei 116 Kilometer. Davon etwa 11 Kilometer auf Landbrücken (Portagen) und etwa 10 Kilometer auf Flüssen. Die technische Crux der Tour, eine Wildwasserstelle im ersten Schwierigkeitsgrad, kann umtragen werden. Auf Portagen sollte man sich durch Lärm den Bären zu erkennen geben, für den Fall der Fälle kann es aber nicht schaden, das Bärenspray griffbereit zu halten. Auf den Bowron Lakes besteht kein Mobilfunkempfang.

    Lage
    Der Bowron Lake Provincial Park in British Columbia liegt etwa 500 Kilometer nordöstlich von Vancouver und 120 Kilometer westlich des berühmten Jasper-Nationalparks.

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    Beste Reisezeit
    Die Runde kann von Anfang Juni bis Ende Oktober gepaddelt werden. Die beste Chance auf Tiersichtungen hat man im Frühjahr, das Wetter aber ist im Sommer besser.

    Anreise
    Von Vancouver oder Seattle aus muss man per Auto mit zwei Tagen Anfahrt rechnen. Auf der Straße sind es von Vancouver aus etwa 700 Kilometer bis zur Ortschaft Quesnel. Dort kann man am besten den Proviant ergänzen (zum Beispiel bei Safeways), eventuell eine Fischereilizenz lösen und eine letzte ausgiebige Mahlzeit genießen (zum Beispiel im Steakhouse). Übernachtet wird in einem der Motels von Quesnel. Talisman Inn hat familienfreundliche Angebote. Die Nacht vor dem Start verbringt man am besten im Zelt auf dem Campingplatz des Bowron Lake Provincial Parks.

    Informationen
    Die Webseite des Parks: www.env.gov.bc.ca/bcparks/explore/parkpgs/bowron_lk/

    Permits
    Pro Tag werden an den Bowron Lakes maximal 50 Personen zugelassen, das Kontingent wird jedoch selten ganz ausgeschöpft. Wer an einen Termin gebunden ist, sollte sicherheitshalber mindestens ein halbes Jahr im Voraus buchen. Ein Permit­kostet 60 CAN $ pro Person (42 Euro), pro Kanu 17 CAN $ (12 Euro).

    Ausrüstung
    Riesige Auswahl in Seattle im REI-Shop oder bei North Face oder bei Mountain Equipment Coop In Vancouver (unter anderem Schlafsäcke, Campingmatten und Zelte, Kocher und Pfannen, Bären- und Insektenspray und Wasserfilter).

    Kanumiete
    Zum Beispiel bei der Bowron Lake Lodge. Zwei Kanus für je drei Personen, mit je drei Paddeln, Schwimmwesten für alle und einem Kanuwagen für die Tragestrecken kos-ten für zehn Tage inklusive Steuer: 520 CAN $ (364 Euro). www.bcadventure.com/bowron.

    Weitere Anbieter: zum Beispiel Beckers Lodge. Im Internet unter http://beckerslodge.ca/

    Geführte Touren
    Zum Beispiel bei Chris Harris, er ist Mitautor des englischen Kanuführers zu den Bowron Lakes, www.chrisharris.com

    Literatur
    Der Weg ist das Ziel, Bd. 37 Kanada: Bowron Lakes, Wolfgang Winterhoff, erschienen im Conrad Stein Verlag. Handliches Westentaschenformat, 12,90 Euro.

    The Bowron Lakes, A Guide to Paddling British Columbia’s Wilderness Canoe Circuit von Jim Boyle. Am besten vor Ort erhältlich. Enthält Erläuterungen zur Kanutechnik und zur Tour auf Englisch, passt bequem in die Rucksackdeckeltasche.

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    07 / 2023

    Erscheinungsdatum 06.06.2023