Schon beim Öffnen der Mail kommen mir ein paar Tränen. "Philip, wir hätten dich gerne beim Fjällräven Polar dabei." Ohne genau zu wissen, was auf mich zukommt, ist mir schon bewusst, was für ein einzigartiges Ereignis mich erwartet.
Ich fahre die abgespeckte Version 180 km in drei Tagen.
Minus 30 Grad? Da musste ich zunächst auch erstmal schlucken. Kälte macht mir eigentlich nicht viel aus, aber das ist nochmal eine ganz andere Hausnummer. Es sind noch ein paar Wochen hin, bis es in den Norden geht, daher mein genialer Einfall: Haare und Bart wachsen lassen! Das Ergebnis eine zerzauste Frisur und einen noch löchrigen Vollbart wie Keanu Reeves.
Endlich geht es los
Noch bevor der Bus um die Ecke biegt, hören wir es: ein Jaulen und Bellen, wie ich es noch nie erlebt habe. Nicht nur wir sind aufgeregt, dass es jetzt endlich losgeht. Die rund 150 Alaskan Huskys sind heiß wie Frittenfett. Nachdem wir mit unserer Ausrüstung vertraut gemacht wurden, erklärt uns unserer Musherin (Hundeschlittenführerin) Klara den Schlitten und wie man bremst. Leider bellen die Hunde so unfassbar laut, dass ich die wichtigen Tipps von ihr kaum verstehen kann. Seit vier Jahren steht sie auf dem Schlitten, seit zehn Jahren arbeitet sie hier in der Hunde Ranch, mit gerade mal 24 Jahren.
Bevor wir dann wirklich "losmushen", will ich mich noch mit meinem Team einstimmen. Eigentlich bin ich nicht der größte Hundemensch, aber für diesen Trip will und muss ich das abschütteln. Mit jedem Hund versuche ich eine Verbindung aufzubauen. Für die nächsten 180 Kilometer sind wir nun eine Einheit. Raven, Upsi, Jeff, Yggy, Birra und Philip. Ich habe extra ein bisschen Deutsch – Schwedisch – Hund gelernt. Bra Pojke – Guter Junge; Bra Flicka – Gutes Mädchen; Fiina – Fein. Bra Joobat – Gut gemacht; Snabbare – schneller.
Hätte ich mal lieber, "links, rechts und stopp" gelernt. Wir lösen die Bremse und los geht’s. Mit Affenzahn den Hang hinunter, über einen gefrorenen See. Ich merke schnell: Ich habe null Kontrolle. Ich stehe mit meinem ganzen Gewicht auf der Bremse – bildlich gesprochen ein Teppichvorleger. Die Hunde? Interessiert das nicht. Die Karawane rollt.
Der eisige Wind peitscht mir ins Gesicht. Mützen fliegen durch die Luft. So richtig vorbereitet war wohl keiner. Als wir wieder etwas Kontrolle gewinnen, machen meine Hunde plötzlich einen Abstecher nach rechts, aus der Reihe. Ich rufe "Stopp", gehe voll auf die Bremse, egal in welcher Sprache, sie hören nicht. Zum Glück kommt rechtzeitig ein Skidoo zur Hilfe und bringt uns zurück in die Spur.
"Bra Joobat" so langsam habe ich den Dreh raus, bisher fahren wir auch größtenteils nur geradeaus. Immer wieder wechselt die Umgebung zwischen unglaublich weiten, zugefrorenen Seen und leicht bewachsenen (windgeschützten!) Waldstücken. Laut Klara haben wir nur ca. -10 Grad, mit dem Schnee und dem Wind fühlt es sich aber deutlich kälter an. Mein leicht rötlicher Schnurrbart ist inzwischen schneeweiß.
Die Strecke wird anspruchsvoller: enge Waldpassagen, scharfe Kurven, bergauf, bergab. Die Hunde rennen unbeirrt hinter Klara her. Ich sehe keinen Weg, keine Spur und zack: Die ersten Stürze passieren. Ich versuche mich weiter an die Devise von Klara zu halten: "immer die Hände am Schlitten lassen" Aber es ist Physik, wenn die Hunde mit vollem Tempo eine scharfe Kurve nach links nehmen, fährt der Schlitten weiter gerade aus. Mich haut es durch mehrere Tannen, bis ich wieder auf dem Weg lande. Die Hände immer noch am Schlitten, die Hunde weiter hinter Klara. Die zweite wichtige Regel von Klara war "Bei scharfen Kurven immer eher abbremsen" … Upps.
Nächste Herausforderung: eine sehr steile S-Kurve. Absteigen, anschieben, aufspringen. Theoretisch einfach, praktisch scheitern fast alle Anfänger. Aber wir kämpfen uns durch. Am Ende des Tages stehen 60 Kilometer auf dem Tacho. Die Huskys und ich sind fix und fertig.
Erst die Hunde, dann wir
Die Schlitten werden an Bäumen fixiert, danach müssen die von ihrem Geschirr befreit werden und angeleint werden. Als jemand, der wenig Kontakt zu Hunden hat, ist das eine echte Challenge. Das Gute, die Hunde sind absolute Vollprofis. Geduldig lassen sie sich aus dem Geschirr fädeln, auch wenn mal ein Bein hängenbleibt oder ich umfalle.
Die kleinen Hunde bekommen noch eine kleine Jacke übergezogen und auf die beanspruchten Pfoten kommen kleine Schühchen, dann wickeln sich die Hunde ein und lassen sich vom herabrieselnden Schnee begraben. Im Anschluss bauen wir unsere Zelte auf, schaufeln uns eine kleine Windschutzvorrichtung und kochen lecker Tütenfutter.

Die Huskys stört die Kälte nicht.
Zum Abschluss des Abends gibt es noch ein gemeinsames Lagerfeuer mit Tee und heißer Schoki. Ich frage zögerlich: "Gibt’s hier Polarlichter?" – Annette, unsere fantastische Fotografin, lächelt: "Die Chancen stehen gut.". Fünf Minuten später sind sie da. Zum ersten Mal Polarlichter zu sehen, löst etwas in einem aus! Es ist mehr als nur Staunen ... diese tanzenden grünen Lichter prägen sich für immer ein. Glücklicher als ich es vermutlich selten je war, kuschle ich mich in meinen dicken Schlafsack, nur meine Nase kuckt raus. Minus 15 Grad erreicht die Außentemperatur während der Nacht, meine Nase ein Eiszapfen. Aber das nehme ich dafür gerne in Kauf.
Der Tag beginnt mit erneuten Stürzen, Anstiegen und kräftezehrendem Marschieren im Parka und Schneeschuhen. Es ist anstrengend, aber die Landschaft entschädigt für alles. Außerdem erwartet uns einen wunderschöne Lodge tief in der schwedischen Tundra, inklusive Hundehütten.
Unser Abenteuer hat gefühlt gerade erst angefangen, da ist es auch fast schon wieder zu Ende. Der letzte Abend bricht an, und wir tauschen uns am großen Lagerfeuer über unsere Erfahrungen aus. Zählen auf, wer alles schon gestürzt ist. Trinken einen wärmenden Mix aus "Lingonsaft" (Preiselbeeren) und Vodka aus traditionellen Kuksas. Dabei kommt in mir die geniale Idee auf, in das Loch im gefrorenen See zu steigen, "zur Abkühlung". Der Vorschlag gefällt Annette: Draußen ist es schon kalt, im gefrorenen See nochmal krasser. Aber Annette sagt nur: "Warte, ich mache noch ein paar Bilder". Danach geht’s in die Sauna und im Anschluss gibt es ein paar lecker Bierchen. Willkommen in Schweden!
Die glücklichste Art zu Reisen
Am Morgen erklingt wieder tosendes Gebell. Die Hunde sind auf jeden Fall schon mal fit. Was vor einem Tag noch total unbeholfen aussah, machen wir inzwischen einarmig und doppelter Geschwindigkeit. Geschirr an, Hunde auf ihre Positionen und Abfahrt. Es ist, als würde sich Schweden an diesem Tag noch einmal von seiner allerschönsten Seite zeigen.

Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr raus!
Kein Wind, kein Schneefall, nur glitzernder Pulverschnee, so weit das Auge reicht. Die Kulisse ist nicht real, sondern wie gemalt. Und wir mittendrin: Raven, Upsi, Jeff, Yggy, Birra und ich.





