Kalt weht der Wind an einem Junimorgen auf 2900 Metern durchs Basislager des Mount Khuiten. Unterhalb des höchsten Gipfels (4374 m) der Mongolei, ganz im Westen des Landes, beginnen zwei Männer eine Wanderung, die bei vielen Außenstehenden zunächst einmal ungläubiges Kopfschütteln auslöst: Golf spielend wollen Adam Rolston (28) und Ron Rutland (43) einen Großteil des Landes durchqueren, rund 2000 Kilometer durch Gebirge, Wüste und Steppe bis zur Hauptstadt Ulan Bator. Präziser gesagt: Adam spielt Golf, Ron übernimmt die Rolle des Caddies:

Der Caddie trägt beim Golfspiel normalerweise die Schlägertasche. Bei The Longest Hole (auf Deutsch: das längste Loch), wie die beiden Männer ihr Projekt nennen, handelt es sich statt einer Tasche allerdings um einen Karren, auf dem Ron neben Golfschlägern auch Zelte, Lebensmittel und Ausrüstung zieht – stolze 120 Kilogramm.
»Wie um alles auf der Welt sollen wir das schaffen?« - Diese Frage stellt sich schon nach den ersten zwei Tagen. Statt Sonnenschein über vergletscherten Altai-Gipfeln erwarten das Duo Regen, Wind und zwischendurch sogar Schnee. Immer wieder müssen sie den Karren durch eiskalte Bäche ziehen, kommen längst nicht so schnell voran wie geplant. Und dabei haben sie nur 90 Tage Zeit für das Projekt, bevor ihre Touristenvisa auslaufen. Die Stimmung sinkt ins Bodenlose.
Aber warum ausgerechnet Golf, das Spiel der Reichen, zu dem eigentlich Löcher und perfekter Rasen gehören? »Ron hat mich inspiriert, als er einen Vortrag über seine Fahrradtour durch Afrika hielt«, wird Adam später berichten. Rutland, mit dem er schon länger befreundet ist, radelte im Jahr 2015 von seinem Heimatland Südafrika nach England und bereiste dabei fast alle Länder des afrikanischen Kontinents. »Damals näherte sich gerade das Ende meiner Zeit als professioneller Rugby-Spieler, und ich wollte mal die gewohnten Bahnen verlassen«, so Rolston weiter. Kurz entschlossen fragte er Rutland, ob sie nicht zusammen etwas unternehmen könnten. Gemeinsam entwickelten die beiden passionierten Golfspieler die Idee zu »The Longest Hole«, einem Rekordversuch auf der längsten, wenn auch selbst definierten Golfbahn der Welt.

Die Mongolei bot sich dafür an, weil es hier so viel einsame Steppe gibt
Ron und Adam suchten und fanden Sponsoren, beschlossen, nebenbei Spenden für einen guten Zweck zu sammeln – und acht Monate später realisieren sie ihr Projekt. Nach den Wetterstrapazen der ersten Tage offenbart sich das nächste Problem: Die Route, die sie ausgetüftelt haben, führt viel über Grasland – das der Regen nun in Sumpf verwandelt hat. Immer wieder bleibt der Karren stecken, die Verzweiflung wächst. »Aber wir können doch nicht aufgeben, nicht jetzt schon!«, sind sich die beiden Männer einig. Obwohl bei Ron bereits Hüftschmerzen auftreten und Adam mit heftigen Rückenbeschwerden kämpft, halten sie sich – abgesehen davon, dass natürlich keine Löcher vorhanden sind – weiterhin an die Regeln des Golfspielens.

Der Ball wird niemals aufgehoben oder mit dem Fuß weiterbewegt
135 Bälle gehen unterwegs verloren, laut Adam eine gute Bilanz, nämlich ungefähr einer auf 16 Kilometern. Die Rollenverteilung dabei ist klar: Ron zieht den Karren, Adam golft. Aber nach so ziemlich jedem Schlag schiebt er von hinten und trägt außerdem einen zehn Kilogramm schweren Rucksack auf dem Rücken. Trotz zeitweiliger Stimmungstiefs, in denen sie sich stundenlang anschweigen, sehen die beiden sich als ein gutes Team. Und was sehen die Einheimischen in ihnen? Möglicherweise zwei Spinner. Die Gastfreundschaft und das Interesse, das man Adam und Ron entgegenbringt, sind trotzdem bewegend. Um auch in der tiefsten Provinz die Verständigung zu erleichtern, haben sie ein Schreiben dabei, das auf Mongolisch erklärt, was sie hier machen. Nur steht darin offenbar nicht deutlich genug, dass sie ihre Tour komplett zu Fuß gehen müssen, um das Projekt erfolgreich abzuschließen.

»No, thank you, no lift!«
Immer wieder lehnen Adam und Ron gut gemeinte Mitfahrangebote ab. Nach Regen und Kälte beim Tourauftakt folgen die nächsten Strapazen, als die Route 180 Kilometer durch die Wüste Gobi führt. Das Duo »spielt« von vier Uhr früh bis maximal neun Uhr, dann befestigen sie eine Plane am Karren und versuchen, bei 40 Grad Celsius den Tag mit Dösen irgendwie herumzubekommen. Abends golfen sie dann noch ein paar Kilometer weiter, eine App auf
Adams Smartphone trackt während der ganzen Tour jeden seiner Schläge. Als »Par«, wie man in der Sprache der Golfer die für ein Loch benötigten Schläge nennt, strebt er für die Komplettstrecke 14.000 an. Schnell zeichnet sich ab, dass es am Ende deutlich mehr sein werden, doch das spielt kaum eine Rolle. »Nach der Wüstenwoche waren wir froh, überhaupt weitermachen zu können«, wird er später berichten. Dafür folgt anschließend mit dem Changai-Gebirge der schönste Teil der Tour.
»Einfach paradiesisch, fast wie die Schweizer Alpen«, schwärmt Adam. Ron und er durchqueren Bergwälder, schwimmen in Flüssen, genießen die moderaten Temperaturen ebenso wie die gute Infrastruktur: Die Changai-Berge mit ihren bis zu 4000 Meter hohen Gipfeln gehören zu den beliebtesten Trekking-Gebieten des Landes. Aber auch in einer touristisch erschlossenen Gegend wie dem Changai-Gebirge fällt die mongolische Küche sehr fleischlastig aus. Darunter leidet besonders Veganer Ron, der im Laufe des Trips 17 Kilogramm abnimmt.

Wer hingegen profitiert, ist ein Tourenpartner, der sich Ron und Adam nach dem ersten Viertel des Wegs angeschlossen hat: ein herrenloser Hund, aus dem Nichts aufgetaucht, folgt den beiden treu und schläft nachts vor ihren Zelten. »U.B.« taufen sie das Tier optimistisch, als Kürzel für ihr Ziel Ulan Bator. Essensreste teilen sie mit ihm, in Rons Fall eben vor allem Fleisch. Ansonsten versorgt der Hund sich selbst mit Kleintieren, während die beiden Männer Proviant- und Materialnachschub (der zum Glück plangemäß ankommt) an Postämter in fünf Orten am Weg geschickt haben.

Am 80. Tag von »The Longest Hole« rückt endlich das Ziel in Sichtweite
Auf dem einzigen Golfplatz der Mongolei, dem Mount Bogd Golf Course bei Ulan Bator, versenkt Adam erfolgreich den finalen Putt. Die Sonne scheint, Freunde sind angereist, alle Anspannung löst sich, der Eintrag ins GuinnessBuch der Rekorde ist gesichert. Und auf den Hund U.B. warten bereits nette neue Besitzer. Zwei Jahre später sind die beiden Männer immer noch gute Freunde, obwohl Ron nach der Tour ein künstliches Hüftgelenk benötigte. Derzeit radelt er von London nach Hongkong. Adam hingegen hat während der Mongolei-Reise großen Gefallen am Filmen gefunden.
Eine Dokumentation von »The Longest Hole« zeigt die diesjährige European Outdoor Film Tour: eoft.eu
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