Ausgleichstraining fürs Klettern - warum, was, wie
Warum Antagonisten trainieren?

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Beim Klettertraining sprießen die Muckis. Für optimale Performance und um Verletzungen zu vermeiden, braucht es aber eine muskuläre Balance. Auf dieser Seite gibt es das Basiswissen rund ums Antagonistentraining.

KL Ausgleichstraining Patrick Matros old school
Foto: Archiv Matros
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Old School: Autor Patrick Matros wusste schon vor 15 Jahren um die Bedeutung des Ausgleichstrainings.

Dem Krafttraining für den Oberkörper und Rumpf wurde im Klettersport schon immer große Bedeutung beigemessen. Vom Klimmzugtraining, das Paul Preuß Anfang des 20. Jahrhunderts vor seinen bemerkenswerten alpinen Solobegehungen praktizierte, über John Gills legendäre einarmige Hangwaage bis hin zu dem von Wolfgang Güllich akribisch durchgeführten Spezialtraining. Im heutigen Wettkampfklettern hat diese Trainingsform ihren Platz behauptet. Und sie wird weiterhin an Bedeutung gewinnen. Damit klar ist, wovon wir sprechen, ist eine kurze Einführung in die Theorie notwendig. Es gilt, einige Begriffe zu klären und abzugrenzen. In der aktuellen Trainingsliteratur wird zwischen Krafttraining der kletterspezifischen und der ausgleichenden Muskulatur unterschieden. Guido Köstermeyer beschreibt das Ausgleichstraining als Krafttraining, das „einseitige Belastungen und Beanspruchungen, die durch das Klettern entstehen, abbauen und langfristig Verletzungen vorbeugen soll“.

Unsere Highlights

Dafür muss man die „Nichtleistungsmuskeln“ des Kletterers trainieren. Man bezeichnet diese "Nichtleistungsmuskeln" als sogenannte Antagonisten, also Muskeln, die in entgegengesetzter Richtung zur „normalen“ Kletterbewegung arbeiten. Die sogenannten Außenrotatoren des Oberarmes zum Beispiel (wie M. infraspinatus und M. teres minor) werden beim Klettern nicht so stark belastet wie die Innenrotatoren (M. subscalpularis; M. pectoralis maior, M. latissimus dorsi u.a.). Dies kann im Extremfall zu Gelenkbeschwerden und Schulterverletzungen führen.

KL Muskulatur des Menschen
Meyers Konversationslexikon (1885)
Was Leistungsmuskel und was Antagonist ist, ergibt sich aus der Sportart.

Thomas Hochholzer und Volker Schöffl zählen in ihrem Buch „So weit die Hände greifen“ verschiedene Muskeln auf, die bei Kletterern besonders betroffen sind und geben eine gute Übersicht zu spezifischen Übungen. Doch auch „klassische“ Klettermuskeln wie der Trapez-Muskel („Stiernacken“) oder der Deltoideus, der das Schultergelenk abdeckt, werden beim Klettern sehr einseitig beansprucht.

Diese Muskeln arbeiten normalerweise in einem großen Bewegungsspielraum (auch in bestimmten Stützschlingen der Muskulatur; zum Beispiel beim Handstand) und können dadurch zu „Schwachstellen“ in der Skelettmuskulatur werden, die mit der Zeit zu Haltungsschäden beitragen.

Je nach Bewegung nutzt der Körper unterschiedliche sogenannte Muskelschlingen: Darunter versteht man Muskelgruppen, die sich zum gemeinsamen Handeln zusammenschließen, zum Beispiel bei Klimmzügen. Dem Ausgleichstraining gegenüber steht das schon eingangs erwähnte klassische Krafttraining der „Leistungsmuskulatur“. Hierfür existieren bereits gute Anleitungen zur Trainingsgestaltung (Intensität, Umfang und Variation).

In der Trainingslehre des Klettersports werden folgende Formen des Krafttrainings unterschieden:
1) Hypertrophietraining (Erweiterung der Muskelmasse)
2) Intramuskuläres Koordinationstraining (Verbesserung der neuronalen Aktivierung einzelner Muskeln)
3) Intermuskuläres Koordinationstraining (Verbesserung der muskulären Zusammenarbeit in Muskelschlingen)
4) Schnellkrafttraining (Verbesserung der Geschwindigkeit der Kraftentwicklung)

Auf der nächsten Seite erklären wir darauf aufbauend die Grundregeln eines effektiven Ausgleichstrainings.

Antagonisten-Training fürs Klettern - die Übungen

In den Fotostrecken zeigen wir eine Auswahl der besten Ausgleichsübungen.
Wir haben sie in drei Schwierigkeitsstufen eingeteilt. Allerdings dienen diese Stufen nur als Anhaltspunkt: Einem Ex-Turner zum Beispiel mag eine Übung aus dem Bereich "Trainingsprofis" nicht allzu schwer fallen, während selbst starke Kletterer mit Übungen aus den anderen Schwierigkeitsstufen durchaus bedient sein können. Tastet Euch heran.

Bevor ihr nun mit Elan an die Geräte stürmt, liegt uns noch eine Sache am Herzen: Hört auf Euren Körper und gönnt ihm die nötigen Pausenzeiten zwischen euren Trainings. Bei den Übun­gen selbst ist es sehr wichtig, auf die richtige Ausführung zu achten. Und vergesst nicht den wichtigsten Grundsatz im Training: Abwechslung!

Übungen für Trainings-Anfänger:

Übungen für Fortgeschrittene:

Übungen für Trainings-Profis:

Welche Muskeln genau?

Für alle, die genau wissen wollen, welche Muskeln mit unseren Übungen trainiert werden, hier ein kleiner Ausflug in die Anatomie. Grundsätzlich sprechen die Übungen sogenannte Stützschlingen an. Dies sind funktionell zusammenwirkende Muskeln, die sich – bezogen auf die jeweilige Bewegung – zu übergeordneten Systemen zusammenschließen. Wir trainieren also weniger isoliert, sondern komplex. Übung 4 für die Trainingsanfänger stellt eine Ausnahme dar. Sie beansprucht relativ isoliert die Außenrotatoren des Oberarmes (Musculus infraspinatus, M. supraspinatus). Diese wichtigen Stabilisatoren im Schultergelenk werden beim Klettern so unzureichend beansprucht, dass diese Übung sehr sinnvoll ist.

Bei den anderen Übungen werden folgende Oberkörpermuskeln trainiert: M. pectoralis major (Stützanteile), M. deltoideus (vor allem vorderer und mittlerer Anteil), M. trapezius (Stützanteile), M. latissimus dorsi , M. serratus anterior, M. triceps brachii, M. supra- und infraspinatus und M. teres minor. Im Bereich der Unterarme werden besonders die Stabilisatoren im Handgelenk beansprucht.

Darüber hinaus sind sämtliche Bauchmuskeln (gerade, schräg und transversal), die Rückenstrecker, sowie die tiefe Rückenmuskulatur im Rumpfbereich an den Bewegungen beteiligt. Spitze, oder?

Weitere Artikel:

Worauf es beim Ausgleichstraining ankommt

Trainiere Nichtleistungsmuskeln nicht isoliert, sondern in komplexen Übungsformen

Ausgleichs­training sollte als intermuskuläres Training durchgeführt werden sollte. Das heißt: weniger Training einzelner Muskeln, zum Beispiel mit dem Theraband; dafür mehr Training von zur Abschwächung neigenden Muskelschlingen. Dies erreicht man am besten mit komplexen Übungen.

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Das Training am Barren hat den Vorteil, das es ganze Muskelschlingen beansprucht.

Beispiel: Übungen mit dem Handstand als Ausgangsposition trainieren sowohl den Trapez- als auch den Deltoid-Muskel in einer für Kletterer unüblichen Belastungsrichtung. Auch die Streckmuskeln im Handgelenk als klassische, beim Kletterer zur Abschwächung neigende Muskeln werden mittrainiert. Im Gegensatz zu isolierten Thera-Band-Übungen dieser beiden Muskeln wird hierbei die gesamte Stützschlinge, zu der diese Muskeln gehören, belastet. Die Bewegung findet nicht isoliert statt, sondern ist in einen komplexen Zusammenhang (Stütz im Handstand) eingebunden. Die einzelnen Muskeln arbeiten zusammen, wie bei alltäglichen Bewegungen auch.

Dies soll nicht bedeuten, dass isoliertes Muskeltraining keinen Stellenwert hätte. Bei Verletzungen, in der Rehabilitation oder bei stark abgeschwächten Muskeln hat es nach wie vor seine Berechtigung. Für einen leistungsorientierten Kletterer reicht es aber nicht aus.

Gestalte Ausgleichstraining mit hoher Intensität und solidem Umfang

Wir Kletterer trainieren ständig mit unserem Körpergewicht. Wir zerren uns an Mikroleisten nach oben und fangen gewagte Dynamos einarmig ab. Unser Ausgleichstraining vertrauen wir aber häufig nur einem dünnen Gummiband an. So wird insbesondere beim leistungsorientierten Kletterer kein adäquater Ausgleich erreicht. Die Intensität des Ausgleichstrainings muss angehoben werden, ebenso der Umfang. Grundsatz sollte sein: Kräftige mindestens eine Stunde pro Woche komplex deine Nichtleistungsmuskulatur. Trainiere mit hoher Intensität, vor allem mit deinem eigenen Körpergewicht. Mache deine Nichtleistungsmuskultur zur Leistungsmuskulatur! Da durch das komplexe Training immer mehrere Muskeln mittrainiert werden, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich auch die Kraft deiner Leistungsmuskulatur verbessert.

Variiere dein Training

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Dieser aus der Trainingslehre bekannte Grundsatz gilt auch im Ausgleichstraining. Oft werden im Antagonisten-Training jede Woche monoton die gleichen Übungen abgearbeitet. Nach einigen Wochen passt sich der Körper an (Adaption), die Leistung stagniert. Variation leistet hier Abhilfe, sie kann über Übungsinhalte und Übungsausführung erzielt werden. Das Buch „Fitness-Krafttraining“ gibt eine gute Übersicht zu verschiedenen Variationen in der Übungsausführung.

Einige davon sind für uns interessant.

Peak Contraction: Zusätzliche statische Anspannung für zwei bis drei Sekunden am Ende der Bewegungsausführung

Stutter Repetition: Bewegung zu einem Teil ausführen, etwas nachgeben, wieder Schub geben, mehrmals bis zur Endstellung

Mehrfache Endkontraktionen: Am Ende der Bewegungsausführung mehrere Nachkontraktionen mit kleinem Umfang

Isometrisches Training: Einbau von Haltephasen in den Bewegungsaublauf.

Eine weitere Verbesserung kann durch die Verwendung von Trainingsgeräten erreicht werden, die zusätzlich zur eigentlichen Bewegung die Aufrechterhaltung oder Stabilisierung des Körpergleichgewichts fordern. So führen sie zu einer Verbesserung der Körperspannung und Körperstabilisation. Diese stabilisierenden Übungsformen lassen sich auch im Kletter-Ausgleichstraining umsetzen.
Turnringe, Gymnastikbälle oder dem „Sling-Training“ ähnliche Gerätekombinationen eignen sich dazu hervorragend. Das Sling-Training sieht ungefähr so aus:

Auf der nächsten Seite zeigen wir Euch die besten Ausgleichsübungen und erklären, wie sie gehen

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10 / 2023

Erscheinungsdatum 12.09.2023