Vier Jahre ist es her, als ich beim Scotchtrinken mit Ben und Will die Bemerkung – halb im Scherz, halb ernstgemeint – fallenließ, dass ich wohl nie ein guter Sportkletterer werden würde. Wills Antwort kam sofort:
„Schwachsinn. Du hast es nie versucht“.
Ich war sprachlos. Ben wartete sichtlich gespannt auf meine Antwort.
„Was?“ fragte ich.
„Du hast es nie versucht“, wiederholte Will.
Darauf hielt Will mir einen Vier-Sterne-Vortrag darüber, dass ich noch nie einen Sommer dem Sportklettern gewidmet hätte, oder gar kontinuierlich das Jahr durch geklettert hätte. Ungefähr zehn Minuten später hatte Will seine Schelte beendet. Ben machte ein unbeteiligtes Gesicht.
„Du hast völlig recht“, gab ich zu. Ich hatte es nie versucht.
Sicher, ich ging regelmäßig klettern, aber ich habe es nicht wirklich versucht. Ich machte es mir leicht. Ich topropte, wann immer jemand anders bereit war, vorzusteigen. Ich kletterte regelmäßig die gleichen Routen. Wenn ich vorstieg und meine Knie auf Hakenhöhe kamen, ließ ich meinen Sicherer zumachen, anstatt weiterzuklettern und einen Sturz zu riskieren.
Im Grunde war ich schlecht im Sportklettern, weil ich mir selbst vormachte, dass ich mich anstrengte, wobei ich in Wirklichkeit nur 50 Prozent gab.
Obwohl der achte Grad im Großen und Ganzen gesehen nicht sehr schwer ist, bedeutet er doch ein hehres Ziel, das viele Leute nicht ohne weiteres erreichen. Obwohl ich Bücher gelesen habe, wie man zum Achterklettern gelangt, dümpelten meine Kletterfähigkeiten jahrelang vor sich hin.
Die folgenden Entschlüsse haben mir geholfen, die Grenze zum achten Grad zu durchbrechen.
- Alles im Kopf: Mentales Training fürs Klettern
- Klettern an der Leistungsgrenze – Tipps für den Rotpunkt von Dr. Guido Köstermeyer
Tipp Nummer eins: Geh klettern
Kletterst du drei Mal pro Woche? Strengst du dich drei Mal pro Woche richtig an?
Wenn nicht, mach dir jetzt nicht die Mühe, Bücher übers Klettern zu lesen. Mach' dir keine Sorgen über Nahrungszusätze oder das Trainingsprogramm von Weltklasse-Kletterern.
Du musst klettern, konsequent und regelmäßig.

Tipp Nummer zwei: Mach dir klar, dass Achter nicht schwer sind
Wenn du noch keinen Achter geklettert hast, wirst du dich über diese Behauptung lustig machen oder entrüsten. Wenn du hingegen bereits einen Achter geklettert hast, wirst du vermutlich zustimmend nicken.
Öffne dich den Möglichkeiten. Lass dich nicht von der Zahl abschrecken und traue dir etwas zu.
Sprich mir nach: „Achter sind nicht schwer.“

Tipp Nummer drei: Geh bouldern
Beim Bouldern klettert man immmer wieder Schlüsselstellen. Wenn du regelmäßig boulderst, wirst du für die Schlüsselstelle in einer Route mehr Kraft, Kletterfähigkeit und Selbstbewusstsein mitbringen.
Bouldern macht dich schneller stärker.

Mehr zum Bouldern:
- Bouldern in der Halle für Einsteiger (+ Boulderknigge)
- Besser bouldern: 10 Tipps für Anfänger und Fortgeschrittene
Tipp Nummer vier: Steige immer vor – außer du bist verletzt
Klettere nicht im Toprope.
Wenn du nicht headpointest (wenn du nicht weisst, was Headpointing ist, klettere trotzdem nicht im Toprope), solltest du immer vorsteigen. Lerne, dich um jeden Preis festzuhalten. Überrasche dich selbst, indem du weiter kletterst, als du dachtest imstande zu sein. (Mit Headpointen bezeichnet man das Vorsteigen einer Route, die man vorher im Toprope ausgecheckt und geübt hat. Der Begriff stammt aus Großbritannien, wo manche Routen im Vorstieg sehr gefährlich sein können, weil es keine Haken gibt und die Möglichkeiten, Sicherungen zu legen, sehr begrenzt sind. Anm.d.Red.)

Tipp Nummer fünf: Steige in zu schwere Routen ein
Wenn du schneckenlangsamen Fortschritt möchtest, dann klettere an brüchigem Fels und versuche, dich langsam, Stück für Stück, durch die Schwierigkeitsgrade hindurchzuarbeiten (das habe ich jahrelang getan). Willst du das nicht, dann – welchen Grad auch immer du erreichen möchtest – versuche etwas deutlich Schwereres.
Wenn du zurück in eine leichtere Route kommst, hast du Kraft aufgebaut und die Bewegungen werden dir nicht so grenzwertig vorkommen. Wash, rinse, repeat.

Tipp Nummer sechs: Klettere mit Taktik
Wenn du eine Route an deiner Leistungsgrenze probierst, dann erkunde sie erst. Nutze einen Stickclip, um den ersten Haken einzuhängen, falls du damit einen Bodensturz vermeidest. Klettere von Haken zu Haken und finde die beste Griff-Reihenfolge für dich heraus. Achte darauf, nicht zu früh dicke Arme zu bekommen. Wenn Du die schwierigen Passagen ausgebouldert hast, setze sie zusammen.
Beim Klettern am Limit ist jeder gemachte Zug eine Leistung. Genieße es. Löse das Rätsel, wie du dich am Fels bewegen musst. Wenn du dir die Griff-Abfolgen und Tritte nicht merken kannst, schreibe sie auf.

Tipp Nummer sieben: Finde Mentoren
Ich hatte überaus Glück, denn ich hatte großartige Kletter-Mentoren. Bis vor kurzem war mir unklar, warum so starke Kletterer mich zum Klettern mitgenommen haben. Ben hat es mir eröffnet: „Du bist ein guter Sicherer“. Nicht gerade etwas, worauf ich furchtbar stolz bin – aber es zeigt, dass wenn du gut drauf bist und gut sicherst, du auch immer Kletterpartner findest.
Das Sichern mal beiseite, jeder Kletterer findet es gut, jemanden zu sehen, der sich anstrengt und alles gibt. Finde jemanden, der schwerer als du klettert, und eifere ihm nach; gib alles.

Nachwort
William, danke, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast, dass ich es gar nicht versucht habe. Hab ich wirklich nicht. Oh, und Benjamin, danke, dass ich dich all die Jahre sichern durfte.
Gregory Thaczuk lebt und arbeitet in Kanada als Programmierer, Geschäftsmann, Investor, Kletterer, u.v.m. Sein Blog „No X in Espresso“ beinhaltet die Originalversion dieses Textes: „What it took to climb 5.12“. Mehr unter blog.thaczuk.com.
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