Mentales Training fürs Klettern
Sei nett zu Dir!

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Zu einem Klettertag gehört auch, dass man Spaß hat. Leider vermiesen wir uns manchmal die Laune und damit den Erfolg. Mental-Coach Petra Müssig erklärt, wie es besser geht.

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Foto: Sarah Burmester / klettern.de

Vor kurzem beobachtete ich in der Boulderhalle einen jungen Mann. Er ging zielstrebig auf eine Wand mit ziemlich schweren Bouldern zu. Zack, nahm er das erste Problem. Das ging gut. Beim zweiten machte er einen kleinen Fehler. Ich beobachtete, wie er sich innerlich und äußerlich anspannte, um es „noch härter“ zu versuchen. Beim nächsten Mal ging es ganz schief. In ihm begann es zu brodeln. Am Hals traten seine Muskelstränge immer stärker hervor. Verbissen versuchte er es noch einmal und kam wieder nur zum zweiten Griff. Entnervt stampfte er mit dem Fuß auf und ärgerte sich. Dann verzog er sich schmollend in eine Ecke. Eine Viertelstunde später war er gar nicht mehr zu finden: Frustriert hatte er den Rückzug angetreten.

Unsere Highlights

„Kann ich eh nicht“

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Sarah Burmester / klettern.de
Herzlich und freundlich zu sich selbst sein sollte man nicht nur beim Klettern.

Es „härter“ zu versuchen ist eine der möglichen, aber nutzlosen Strategien, um mit Frust oder Stress umzugehen. Ebenso nutzlos sind Gedanken oder Aussagen wie: „Die anderen sind schuld, das Wetter, der Routenbauer, der Lärm“. Die beste und perfideste Art und Weise, sich in Stress- oder Angstsituationen das Leben selbst schwer zu machen, sind Gedanken wie: „Das konnte ich als Kind schon nicht!“, „Ich bin halt mental nicht so gut!“ und „Das brauch ich gar nicht erst versuchen, das wird eh nichts!“

Gedanken machen Gefühle – und umgekehrt

Die entscheidenden Faktoren für unsere Leistungsfähigkeit, unsere Zufriedenheit und Freude am Sport hängt von mehreren Faktoren ab: Natürlich von unserer körperlichen Fitness, aber auch und vor allem von unserer mentalen Haltung: zum einen von unserem Denken, unserer Einstellung; und zum anderen davon, wie wir mit uns selbst umgehen. Es macht einen Unterschied, ob wir den Umständen oder uns selbst gegenüber kritisch, negativ und abwertend eingestellt sind, oder ob es uns gelingt, gelassen, entspannt und sachlich mit Situationen umzugehen, die uns normalerweise ärgern oder nerven würden. Dabei geht es mir nicht ums so genannte „positive Denken“: Alleine dadurch, dass ich mir nette, aufmunternde oder schönfärbende Sätzchen vorsage, ändert sich noch nicht viel. Im schlimmsten Fall verstärkt sich mein Frust weil ich das, was ich mir da so munter vorsage, auch nicht hinbekomme, also „bin ich doch tatsächlich zu blöd?“

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Sarah Burmester
Beim Angreifen gutgelaunt bleiben ist die große Kunst.
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Alan James
Sich übers Runterfallen nicht zu ärgern, sondern sich angespornt zu fühlen, hilft in jedem Fall.

Stress, Frust oder Angst beim Klettern haben immer Gründe, und die liegen selten nur im Mentalen. Tagesform, Trainingszustand, Erfahrung, Müdigkeit und Erschöpfung, Aufwärmen, äußere Einflüsse wie Stress bei der Arbeit bis hin zum Vertrauen in unsere Sicherungspartner spielen stets eine Rolle. Und doch hat „das Mentale“ – also unsere Einstellungen, unsere innere Haltung, unsere Gedanken – Einfluss auf unsere Leistungsfähigkeit. Vereinfacht ausgedrückt: Gedanken machen Gefühle – Gefühle machen Körperhaltungen – Körperhaltungen wirken sich auf unsere Leistungsfähigkeit und unsere Technik aus.

Wenn wir uns zum Beispiel darüber ärgern, dass die Halle wieder mal so voll ist oder dass dieser blöde Zug einfach nicht klappen will, dann verspannt sich unsere Muskulatur. Je stärker unsere Muskulatur verspannt ist, desto schlechter wird unsere Bewegungskoordination. So verändern sich durch Wut oder Ärger unsere Reaktionsfähigkeit, unsere Technik, unsere Beweglichkeit, und wir klettern in der Tat schlechter. Und das, was wir uns vorher schon gedacht haben, nämlich: „Der blöde Zug klappt eh nicht!“ oder „Wenn die Halle heute wieder so voll ist kann ich es auch gleich lassen!“, trifft tatsächlich ein.

Ähnlich geht es uns in Momenten der Unsicherheit oder Angst beim Klettern. Angst ist eine völlig normale Reaktion unseres Organismus auf etwas, das uns bedrohlich erscheint. Dazu brauchen wir nicht mal real einen Meter über der letzen Expresse zu klettern, oft genügt schon der Gedanke an eine solche Situation, um unseren Körper in Alarmbereitschaft zu versetzen. Auf etwas, das er als bedrohlich einstuft, reagiert unser Körper mit einem veränderten Atemrhythmus, einer stärker angespannten Muskulatur und veränderten Sinneswahrnehmungen. Durch die so entstehende Sauerstoffschuld werden Denk- und Muskelleistung reduziert. Durch die Anspannung der Muskulatur im Rumpfbereich nimmt unser Körper eine Art Schutzhaltung ein, die sich auf die Reichweite unserer Arme auswirkt: Wir klettern dann tatsächlich schlechter als in Situationen, die uns nicht in diesem Maße herausfordern.

Die wichtigsten Strategien

Um mit ungünstigen äußeren Umständen, mit schwierigen Herausforderungen, mit stressigen und frustrierenden Situationen beim Klettern anders umzugehen, haben zwei Strategien besonders bewährt. Erstens: „Das Denken besetzen“, und zweitens: „Der konstruktive Umgang mit uns selbst“.
Beim „Denken besetzen“ versuchen wir nicht krampfhaft, uns wenig hilfreiche Gedanken zu verbieten, sondern wir denken stattdessen an das, was wir technisch oder taktisch als Nächstes tun können, um so optimal wie möglich zu klettern.

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Hannes Huch
Der Wille zum Erfolg sollte da sein - aber ohne Krampf.

Technik aus der Sportpsychologie

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Sarah Burmester
Gute Laune ist wichtig - schließlich ist Klettern unser Hobby!

Anstatt zu denken „Oje! Da kommt der blöde Zug!“, denken wir lieber an „Füße hoch, steigen!“ oder „Atmen!“, oder wir konzentrieren uns ganz bewusst auf die richtige Griff- und Trittkombination. Wenn wir uns die entsprechende Anweisung nicht nur denken, sondern uns im Geist (also mental) oder leise vorsagen, praktizieren wir eine weitere erfolgreiche Technik aus der Sportpsychologie, nämlich das so genannte „subverbale Training“: sich selbst kurze Handlungsanweisungen zu geben, so dass Kopf und Körper wissen, was als nächstes zu tun ist (anstatt sich Sorgen über dieses und jenes zu machen oder Energie mit Ärgern zu verschwenden).

Beim „konstruktiven Umgang mit uns selbst“ geht es darum, wie wir über uns selbst denken, mit uns selbst sprechen und umgehen. Wir können uns über die volle Halle ärgern. Wir machen uns selbst fertig, weil das mit dem Vorstieg wieder nicht geklappt hat. Wir kritisieren uns, weil wir „schlechter“ klettern als andere. Wir zweifeln an uns, weil wir an der Schlüsselstelle bestimmt wieder zu feige sind und nehmen uns vor, es beim nächsten Mal noch härter zu versuchen. Wir geben anderen die Schuld. Wir ärgern uns dann zusätzlich, weil alles das gar nichts bringt und verspannen uns dadurch nur noch umso mehr.

Entspannungspolitik – den richtigen Ton treffen

Ein Ausweg aus Situationen, in denen uns etwas nicht so gelingt, wie wir es uns wünschen, in denen wir uns ärgern oder unzufrieden mit uns sind, besteht darin, so mit uns umzugehen, wie wir in dieser Situation mit unserem besten Freund, unserer besten Freundin umgehen würden. Oder wie ein wirklich guter, erfahrener Trainer mit seinen Schützlingen umgeht: Wir würden aufmuntern. Relativieren, „die Kirche im Dorf lassen“. Zur Pause, zum Entspannen, zum Mal-tief-Luftholen anregen. Wir würden darauf hinweisen, dass der Tag heute im Job doch schon stressig genug war, der letzte Virusinfekt erst eine Woche her ist und der Verletzung am Finger ein wenig mehr Schonung doch vielleicht ganz gut täte? Wir würden einwerfen, dass es viel Zeit, viel Übung und viel Geduld braucht, um stetig und langfristig besser zu werden. Und dass wir auch die großen Ziele nur in kleinen Schritten erreichen. Wir wären nachsichtig, freundlich, bemühten uns je nach Situation einfühlsam um die passenden Sätze und würden uns mit dem anderen über jeden noch so kleinen Erfolg freuen.

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Sarah Burmester
Mal was anderes machen - zum Spaß.

Kein „Dutzidutzi“

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Sarah Burmester
Keine Motivation mehr? Manchmal muss man einfach nochmal raus an den Fels.

Aber Achtung: Dabei geht es nicht um „Dutzidutzi“, um Abschwächen oder Verhätscheln. Das können die wenigsten Sportler leiden. Ein gewisses Maß an Herausforderung, an „Ich traue mir (dir) das zu!“ darf schon sein. Ein gewisser Grad an Angriffslust, an Motivation, Herausforderungen angehen zu wollen, sind wichtige Komponenten des inneren Zustandes, der uns zur Leistung befähigt. Es gibt Tage, an denen wir leichter in den „idealen Leistungszustand“ kommen, manche von uns umso mehr, als sie durch andere dazu angeregt werden. An anderen Tagen hingegen brauchen wir einfach mehr Ruhe, Nachsicht und Verständnis.

Und seltsam: Je mehr Verständnis, Nachsicht und Gelassenheit wir uns an den weniger guten Tagen selbst entgegenbringen, desto seltener erleben wir schlechte Tage! Wenn es uns durch zunehmende Übung gelingt, nachsichtiger mit uns selber umzugehen, dann gewinnen wir Freude, Lockerheit und Selbstvertrauen. „Aber,“ höre ich da kritische Stimmen, „wenn ich nur so softiemäßig mit mir selber umgehe, wie soll ich dann jemals besser werden?“ Besser werden wir durch Übung, mit Zeit, Spaß und Geduld. Durch „vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Komplexen“. Grenzen nach oben verschieben wir an Tagen, an denen wir wirklich fit und gut drauf sind. So mancher glaubt, bei jedem Klettern an seine oberen Grenzen gehen zu müssen, um besser zu werden. Aber nicht jeder Tag ist „ein guter Tag“, an dem wir fit, ausgeruht, unbeschwert und sorglos sind, an dem uns besondere Herausforderungen eher gelingen als an den weniger guten Tagen. Wenn wir uns also auch an den weniger guten Tagen einbilden, an unsere Grenzen gehen zu müssen, haben wir gute Chancen auf Misserfolge. Unser Gehirn speichert diese aufgrund der Tagesform eigentlich voraussehbaren „Misserfolge“ ab, und wir geraten zunehmend in den Kreislauf von Unlust, Frust und Selbstzweifel.

Die richtige Einstellung – konkrete Tipps

Um besser zu klettern ist es sinnvoll, unsere Einstellungen langfristig zu verändern, uns selbst gegenüber mehr Verständnis und Freundlichkeit zu entwickeln und für viele kleine und große Erfolgserlebnisse zu sorgen. Wenn wir uns also durch zu volle Hallen irritiert fühlen, dann „besetzen wir den Gedankensinn“ und bleiben mit unserer Aufmerksamkeit „im Hier und Jetzt“. Wenn wir merken, dass wir heute nicht ganz so fit sind, dann verzichten wir auf besonders schwere Routen und versuchen, in einfacheren Routen technisch so perfekt oder optisch so elegant wie möglich zu klettern. Stress im Job? Dann sollte uns das Klettern mehr zum Auftanken dienen und nicht durch zu hohe Anforderungen an uns selbst zusätzlich stressen. Wenn es im lang ersehnten Kletterurlaub mal regnet? Wunderbar, dann erholen wir uns, ganz in dem Wissen, dass die Regeneration ein wichtiger Bestandteil des Besserwerdens ist. Besser zu werden braucht Zeit, Geduld, Übung, Erfahrung, Lachen, vernünftige Planung und zahlreiche kleine Erfolgserlebnisse, aber das haben wir unseren Kletterfreunden ja schon immer gesagt!

KL Hundeblick gross + breit
Steffen Kern
Nicht frusten lassen!

Mal ganz konkret: Die richtige Einstellung

Am Beispiel lernen: Hier beschreibt Petra Müssig, wie wir konkret an uns arbeiten können.

Weg vom...
– Bewerten:
„Das war ja wieder mal ganz mies!“
Hin zum...
– Wahrnehmen, ohne werten:
„O.K.: Da oben den Griff links habe ich mit der rechten Hand genommen, den sollte ich mit der Linken erwischen.“

Weg vom...
– Ver-/ beurteilen:
„Ich bin doch echt zu doof! Jetzt mach ich das zum vierten Mal falsch!“
Hin zum...
– Ganz sachlich beobachten:
„Mach du noch mal vor … Ah ja! Rechts – links – rechts … Fuß hier rauf, und da dynamisch.“

Weg vom...
– Dauernd versuchen, Fehler zu vermeiden
Hin zum...
– Experimentieren, kreativ sein, ausprobieren, spielerisch klettern

Weg vom...
– Sich selbst kritisieren oder fertig machen
Hin zum...
– Sich selbst ein guter Freund / guter Coach sein!

Weg vom...
– Sich ärgern
Hin zum...
– Spielen, Spaß haben, sich freuen, gelassen bleiben

Frust vermeiden – so geht's

Für große und kleine Erfolgserlebnisse sorgen, und wie man im Einzelnen locker bleibt, lässt sich in untenstehender Tabelle nachlesen. Grundsätzlich gilt: Keine überzogene Erwartungshaltung, Erfolge beim Klettern sind ein Geschenk!

KL Nett sein... Frusttabelle
(Klick auf die Tabelle öffnet die Großansicht)

Die Autorin

KL Petra Müssig
Archiv Müssig

Petra Müssig, geb. 1965, hat als ehemalige Leistungssportlerin und als Trainerin umfangreiche Erfahrung gesammelt. Die dreifache Weltmeisterin im Snowboarden gibt im Kletterzentrum München-Thalkirchen regelmäßig Workshops zur Psyche beim Klettern.
Informationen und mehr unter www.sport-im-kopf.de.

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10 / 2023

Erscheinungsdatum 12.09.2023