Mecklenburgische Seenplatte
Wandern und Paddeln im Müritz-Nationalpark

Wandern, wo Deutschland wieder wild wird: Neun Tage lang führt der Müritz-Rundweg durch wuchernden Wald, zu stillen Seen und seltenen Vögeln – Bootspartie inklusive.

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Foto: Bernd Jonkmanns

Irgendetwas stimmt hier nicht, denkt sich der Wanderer. Doch es dauert einen Moment, bis ihm bewusst wird, was hier im Müritznationalpark anders ist als gewohnt. Es ist die Abwesenheit von Lärm: Kein Auto, kein Flugzeug, keine Bahn ist zu hören. Im Müritznationalpark kann man auf einem Rundweg neun Tage lang in fast vollkommener Stille wandern. Fast – denn es kann vorkommen, dass plötzlich aus dem Schilf ein lauter, tiefer Röhrlaut erklingt. »Ein Moorochse!« Ranger Manfred Heldt freut sich und liefert sofort eine Erklärung: Hinter dem von Einheimischen »Moorochse« genannten Tier verbirgt sich kein Rindvieh, sondern ein unscheinbarer Reihervogel, die Rohrdommel. »Auf die Rückkehr der Rohrdommel sind wir hier besonders stolz«, sagt Heldt begeistert. Den in Europa stark gefährdeten Vogel bekomme man allerdings so gut wie nie zu Gesicht. Dafür hört man ihn – laut wie eine Hupe.

Unsere Highlights

Seit zwanzig Jahren ist Heldt bei der Nationalparkverwaltung angestellt. Doch das Gebiet östlich der Müritz mit seinen tiefen Wäldern, Mooren und rund 107 größeren Seen – es streiten sich die vermessenden Geister, was noch Tümpel und was schon See ist – ist ihm schon viel länger vertraut. Zu DDR-Zeiten hat er hier wie die meisten seiner rund 40 Rangerkollegen als Forstwirt gearbeitet. Als einen Monat vor dem Ende der DDR im Hauruck-Verfahren das Nationalpark-Programm beschlossen und gleich drei Nationalparks im Nordosten geschaffen wurden, wechselte er die Fronten: Statt in die Natur einzugreifen, schützt er den Wald. »Für beide Berufe muss man die Natur lieben. Sonst ist man im falschen Job«, erklärt Manni Heldt.

In den Wäldern des Nationalparks folgen Tiere und Pflanzen dem Kreislauf von Werden, Wachsen und Vergehen, sind die Wege nahezu alle naturbelassen. Uralte Bäume bilden bizarre Formen, fast schon Skulpturen; Totholz bleibt einfach liegen, wird von Schwämmen zersetzt, von Pilzen bewachsen und Insekten zerfressen.

»Eigentlich kommen Wanderer eher selten her«, erklärt Peter Heyde, Koordinator der Nationalparkranger und Manni Heldts Vorgesetzter. Bislang ist der 322 Quadratmeter große Müritz-Nationalpark vor allem ein beliebtes Ziel für Radfahrer. Dabei kann man die zarte Schönheit der Gegend, ihre Gerüche und Geräusche eigentlich nur im Schritttempo wahrnehmen. Wer genau hinsieht, entdeckt seltene Pflanzen wie Moosbeere, Fieberklee und Sumpfcalla.

Tief geduckt wartet der rundblättrige Sonnentau auf Insekten, die er mit seinen klebrigen Drüsentakeln festhält und verdaut. Umgepflügte Erde verrät die Anwesenheit von Wildschweinen. Eine Ringelnatter windet sich elegant durchs Gras. Und mehr als dreihundert verschiedene Schmetterlinge, mindestens ebenso viele Libellen- und 250 Vogelarten soll es geben, dazu 107 Arten von Laufkäfern, darunter zahlreiche stark gefährdete.

Am intensivsten erlebt man den Nationalpark auf dem mit einem blauen M gekennzeichneten Müritz-Rundweg. Auf 163 Kilometern verbindet er die beiden Teile des Nationalparks, die Region am Ostufer der Müritz und den kleineren Teil um Serrahn, dessen uralte Buchenwälder jüngst als Unesco-Weltnaturerbe nominiert wurden.

Waren – Start und Ziel

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Bernd Jonkmanns
Kurz hinter Waren fühlt man sich am Müritzufer fernab jeglicher Zivilisation.

Der Müritzweg startet und endet in Waren – mit 23000 Einwohnern das touristische Zentrum der Region. Jahrzehntelang ein Frachtschiffhafen, eine vergessene Stadt, deren gotische Giebelhäuser dem Verfall preisgegeben waren, wurde Waren an der Müritz nach der Wende aufwendig restauriert. Heute flanieren Touristen zwischen den Fachwerk- und Backsteinhäuschen; Speicherhallen dienen als Hotels.

Der Name Müritz ist abgeleitet vom slawischen »Morcze«, was in etwa »Kleines Meer« bedeutet. Slawische Siedler haben im Mittelalter das zweitgrößte deutsche Binnengewässer so getauft. Tatsächlich hat man das Gefühl, am Meer zu wandern, wenn man dem Müritzweg entlang der Warener Hafen- und Strandpromenade folgt. Der Blick geht weit übers Wasser. Der Wind peitscht die Wellen hoch und setzt ihnen Gischtkronen auf, schaukelt die zahllosen Segel- und Hausboote.

Rund 28 Kilometer lang und 13 Kilometer breit ist die Müritz und wird nur vom Bodensee übertroffen – der, wie die Einheimischen spitzfindig feststellen, »ja aber nicht ganz in Deutschland liegt«.

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Bernd Jonkmanns

Mit dem Kajak mitten in der Natur

Vom Boot aus fühlt man sich der Natur richtig nah und kommt sogar bis in die Kernzone des Nationalparks. Paddler dürfen das Kanu in diesem besonders geschützten Bereich nicht verlassen und müssen sich auf einigen Seen streng an die richtungsweisende Tonnenlinie halten. Im meterhohen Schilf herrscht Zirpen, Quaken und Tschilpen. Die Ufer scheinen unberührt, Büsche und Bäume wachsen bis dicht an den Rand, reichen mit ihren Wurzeln ins Wasser. Die Sonne flirrt über ganze Felder von weißen und sogar gelben Seerosen; azurblaue Libellen und gelbe Zitronenfalter flattern darüber hinweg, dicke Moorfrösche quaken dazu ein sehnsüchtiges Lied.

Man nimmt das Paddel hoch, lässt sich treiben und den Blick bis zur nächsten malerischen Verrenkung des Wasserlaufs schweifen. Und dann, völlig unerwartet, bekommt man zu sehen, wofür andere den weiten Weg bis nach Kanada auf sich nehmen: Ein Fischadler schießt pfeilschnell ins Wasser und schwingt sich mit seiner Beute im Schnabel empor. Immerhin 60 der in Deutschland registrierten 470 Fischadlerpaare leben zwischen Mitte März und August an der Müritz und ihren vielen Nachbarseen. Man braucht also gar nicht übermäßig viel Glück, um Zeuge eindrucksvoller Jagdszenen der weißbauchigen Riesen zu werden.

Konkurrenz in der Besuchergunst bekommen die Fischadler nur vom noch größeren, noch selteneren Seeadler – dem deutschen Wappentier. 14 Brutpaare sind in Mecklenburg-Vorpommern zu Hause, davon etwa die Hälfte im Müritz-Nationalpark. Während die Fischadler zu den Zugvögeln gehören, bleiben die majestätischen Seeadler mit ihrer Flügelspannweite von zweieinhalb Metern das ganze Jahr über in heimischen Gefilden. Spätestens auf der letzten Tagesetappe der Rundtour kann man den Fischadler hautnah erleben. Eine Überwachungskamera überträgt intime Szenen aus dem Fischadlerhorst auf den Bildschirm im Nationalparkhaus Federow. Dadurch wird die Neugier der Besucher befriedigt, ohne dass der Star des Nationalparks sich belästigt fühlt.

Manni Heldt, dessen naturkundliche Führungen ebenfalls in Federow starten, hat aber noch weitere ornithologische Promis auf Lager: Besonders gerne bringt er im Herbst Gruppen zur Kranichrast. In dieser sensiblen Zeit dürfen die bis zu 10.000 Tiere, die auf ihrem Flug nach Süden am Rederangsee rasten, nicht gestört werden. Die Besucherzahl wird auf vierzig am Tag limitiert.

Zur gleichen Zeit wie die Kraniche machen am Warnker See abertausende Reiher halt. Besonders voll wird es im Oktober, wenn zusätzlich noch bis zu fünfzigtausend Saat- und Blässgänse im Müritzgebiet auf ihrem langen Zug Kräfte tanken.

Der Park ist die Heimat von Wasserschildkröten, Schreiadlern, Muffelwild, Iltissen und Eisvögeln – und neugierigen Waschbären, die sich zum Leidwesen der Dorfbewohner gerne Zugang zu den Häusern und Speisekammern verschaffen, und, egal wie weit man sie fortbringt, immer zurückfinden«, wie Manfred Hecht, Inhaber des gleichnamigen Kanuverleihs, klagt. Die possierlichen Tierchen sind eben genauso heimatverbunden und halsstarrig, wie es auch den Menschen der Müritzregion nachgesagt wird.

Nicht erst seit der Gründung des Nationalparks vor 20 Jahren scheint in den Dörfchen mit den unasphaltierten Sandstraßen und den Ziehbrunnen die Zeit stillzustehen. Ein letztes Mal zieht man tief den satten, süßen Geruch von wildem Klee, Veilchen und feuchtem Waldboden ein. Dann, kurz vor Waren, setzt der Handyempfang wieder ein, die Zivilisation mit ihrem Nachrichtenterror hat einen wieder. Was gäbe man darum, umzudrehen und für immer in dem Märchenwald zu verschwinden, wo die Fantasie ungestört ihrer Wege geht.

OD 0711 Deutschlands Traumpfade: Mueritz
Übersichtskarte unserer Müritz-Tour

Die Müritz-Runde: Neun Tage im Nationalpark

1. Tag: Waren–Schwarzenhof
18 km, 4,5 h
Vom Hafen in Waren über Hafen- und Strandpromenade entlang der Müritz bis zum Beobachtungspunkt Schnakenburg. Dann taucht man ein in den dichten Wald des Müritz-Nationalparks. Über den Warnker See zum Rederangsee. Hier rasten im Herbst und Frühjahr Kraniche. Dann weiter nach Schwarzenhof.

2. Tag: Boeker Mühle
17 km, 4,5 h
Nach Südosten wandern, vorbei an Specker See und Hofsee ins Dorf Speck mit seiner neugotischen Kirche, dem Gutspark und der alten Schmiede. Weiter nach Süden zum Priesterbäker See. Nach noch etwa 1,2 Kilometern lockt ein Abstecher zum Käflingsberg auf den 35 Meter hohen Aussichtsturm. Weiter in südwestlicher Richtung nach Boek und zum Ziel Feriendorf Boeker Mühle.

3. Tag: nach Wesenberg
25 km, 6,5 h
Zuerst zum Beobachtungspunkt bei Zartwitz: Hier jagen Seeadler. Weiter nach Babke, über Havelstein und Jäthensee nach Blankenförde. Über die Havel und in den Wald. Das Westufer des Krummen Sees führt nach Zwenzow. Südlich weiter zum Großen und Kleinen Labussee. Zum Etappenziel Wesenberg (Burg, gotische Feldsteinkirche, Musikinstrumenten- und Blechspielzeugmuseum) von der Route abzweigen.

4. Tag: nach Fürstensee
22 km, 5,5 h
Nach Klein und Groß Quassow wandern; Storchen-Info im Ortskern. Durch den Kalkbuchenwald des Naturschutzgebietes »Falkenhorst« nach Süden; evtl. Abstecher zur Wasservogelwarte am Tiefen Trebbower See. Entlang den Stendlitzwiesen nach Klein Trebbow, Fürstensee.

5. Tag: Fürstensee–Carpin
24 km, 6 h
An Großem Fürstenseer See und Plasterinsee entlang zur Südspitze des Lutowsees; nach Herzwolde. Vorbei am Goldenbaumer Mühlenteich nach Norden, nordöstlich zur Steinmühle. Weiter nach Grünow mit seiner Feldsteinkirche (14. Jh.). Einkehr: Gutsdorf mit historischer Schmiede. Etappenziel: Carpin.

6. Tag: Carpin–Neustrelitz
16 km, 4 h
Hinter Carpin in die Serrahner Buchenwälder und westwärts nach Neustrelitz. Die barocke Residenzstadt verzaubert mit Schlosspark, Orangerie, Tiergarten, Schlosskirche.

7. Tag: nach Kratzeburg
17 km, 4,5 h
Vom Neustrelitzer Marktplatz zum Zierker See, durch die Schlosskoppel mit Landschaftspark. Über den Kammerkanal geht es nach Prälank, dann durch die Torwitzer Tannen nach Langhagen, zum Käbelicksee und schließlich nach Kratzeburg.

8. Tag: Kratzeburg–Federow
24 km, 6 h
Über den Erlebnispfad nach Dambeck. Vorbei an Seen nördlich zum Mühlensee: Havel-Ursprung. An Bornsee und Hügelgräbern vorbei nach Groß Dratow. Durch das Kargower Holz nach Federow und in der Nationalpark-Info per Live-Kamera Fischadlern ins Nest schauen.

9. Tag: Federow–Waren
10 km, 2,5 h
Am Feisnecksee vorbei zurück in den Hafen von Waren.

Variante per Kanu oder Kajak
Am Tag 3 bei Babke in die Obere Havel oder den Jäthensee einsteigen, bis Kratzeburg bei schwacher Strömung flussaufwärts paddeln.

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Bernd Jonkmanns
Im Gutshaus Boek informiert eine Austellung über die Natur der Region.

Reiseinfos zum Müritz-Nationalpark

Anfahrt
Per Bahn: stündlich ein Zug von Berlin nach Neustrelitz und Waren (www.bahn.de). Außerdem verkehrt täglich ein privater Zug zwischen Rostock und Leipzig (www.interconnex.com), der in Neustrelitz und Waren hält. Die Regionalbahn von Neustrelitz nach Hagenow-Land (Anschluss nach Hamburg und Schwerin) fährt Kratzeburg, Klockow und Kargow im 2-Stundentakt an. Außerdem Regionalbahn von Neustrelitz nach Mirow mit Halt in Groß Quassow und Wesenberg, direkt im Nationalpark (www.odeg.info).Fahrradtransport ist auf allen Strecken möglich.

Mit dem Bus: www.vms-bus.de und www.pvm-waren.de: Müritz-Nationalparktag: www.nationaltag-ticket.de

Mit dem Auto: Von Westen über die A 19 (Abfahrten Röbel/Müritz oder Waren), dann über B 198 bzw. B 192. Aus Süden über die B96 direkt aus Berlin nach Neustrelitz. Von Osten: A 20, Abfahrt Friedland; auf B 198 Richtung Neustrelitz.

Müritz-Rundweg
Detaillierte Route mit Liste aller Unterkünfte an den Etappenzielen: www.auf-nach-mv.de, Menüpunkt "Wandern", Markierung: blaues M

Kanu
Kanu-Hecht, Kratzeburg, Telefon: 039822/17983, www.kanu-hecht.de

Karten
Klemmer-Verlag, Rad-und Wanderkarte Müritz-Nationalpark, 1:50000, 5,90 Euro; Studio-Verlag, Rad-und Wanderkarte Müritz-Nationalpark, 1:500000, 5,50 Euro; Studio-Verlag. Wasserwanderkarte Strelitzer Seenplatte, 1:50000, wasserabweisendes Papier, 6 Euro; Juebermann-Verlag, Karte der Mecklenburger Seen, 1:100000, wasserfestes Papier, 9,60 Euro; Juebermann-Verlag, Touren-Atlas 6 Deutschland Nordost, 1:75000, wasserfestes Papier, DIN-A4-Einzelkarten, Spiralbindung,19,50 Euro.

Buchtipps
Vogel-Liste, Arten des Nationalparks mit Verbreitungsangaben, über das Nationalparkamt Müritz, 1 Euro; Vögel beobachten im Müritz-Nationalpark, Herausgeber: Förderverein Müritz-Nationalpark e.V., 7,50 Euro, Beides über: www.nationalpark-service.de

Informationen und Unterkünfte
mueritz-nationalpark.de

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10 / 2023

Erscheinungsdatum 12.09.2023