Im Thronsaal der Berggötter - Der Karakorum-Trek zum K2

Der Karakorum Trek zum K2
Im Thronsaal der Berggötter

ArtikeldatumVeröffentlicht am 18.10.2025
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Träume brauchen bisweilen etwas länger, bis sie realisiert werden. Vor 25 Jahren – wir waren auf Radreise durch Alaska – sah ich ein Bild des legendären Fotografen Art Wolfe: den K2 im Sonnenaufgang. Ein magisches Foto, ich war elektrisiert, wusste sofort, da will ich hin. Irgendwann. Und nun sind wir unterwegs in Pakistan, nach einer abenteuerlichen Fahrt über haarsträubende Pisten in einem altgedienten Toyota Land Cruiser erreichen wir das kleine Dorf Askole auf 3050 Meter Höhe. Ende der Straße, Start des Karakorum-Treks. Etwa 85 Kilometer trennen uns von Concordia, dem Ort, wo wir den K2 erstmals sehen könnten. Wenn das Wetter mitspielt, was im Karakorum keineswegs sicher ist – zwischen heftigem Schneefall und schattenlosen 35-Grad-Tagen ist im Juli alles möglich.

Früh um sechs Uhr beginnt das große Organisieren, Gepäck wird verschnürt, gewogen und sortiert, jeder darf 15 Kilo an die Träger abgeben. Zelte, Stühle, Tische, Kocher, Lebensmittel für drei Wochen inklusive lebender Hühner werden verzurrt, alles wird von lokalen Trägern und Mulis getragen. Etwa 20 Träger begleiten unsere Sechsergruppe, geführt vom Guide Rehmat und seinem Lehrling Ichat.

KarakorumTrek K2
Birgit Pütz / Jo Deleker

Endlich geht es los, jeder ist maximal aufgeregt. Anfangs gibt es eine Fahrspur, das Gehen fällt leicht. Noch. Die letzten grünen Felder bleiben zurück, die karge Hochgebirgswüste übernimmt. Weit oben glänzt im Osten der Gletscher des 5809 Meter hohen Gipfels Bakhur Das'. Jetzt erscheint der Berg riesig, in wenigen Tagen, wenn wir die 8000er erreichen, werden wir ihn wohl ignorieren. Maßstäbe werden sich verschieben.

Der Trek führt am lauten und extrem wilden Braldu River entlang, der das sedimentreiche Schmelzwasser des Karakorum zum Indus transportiert. Was für ein Fluss: Walzen, Wellen, Kreuz- und Querströmungen von enormer Größe, wild wie die Berge, aus denen er kommt. Nur für Abkühlung sorgt er nicht. Bis Mittag wird es 35 Grad heiß, das stand nicht auf der Wunschliste. Die subtropische Sonne brät heftig, kein Windhauch kühlt, nur der Regenschirm bringt etwas Schatten. So gerät die 20-Kilometer-Etappe bis zum Camp Jhola keineswegs zur leichten Übung.

Trinken, trinken, trinken

Tag zwei wird nicht kühler, nicht kürzer, aber mit über 600 Höhenmetern bei endlosem Auf und Ab noch schweißtreibender. Trinken, trinken, trinken: Locker fünf Liter Wasser hat jeder von uns bis zum Camp Paiju intus, einer Oase in der steinigen Wüste. Erstaunlich große Laubbäume beschatten die Zeltterrassen, ein Bach gurgelt durchs Lager. Es gibt sogar – wenn auch zweifelhafte – Toiletten. Ostwärts ragen die Berge des zentralen Karakorums auf, mächtige und bizarre Felstürme. Vorfreude kommt auf. Auch auf den Ruhetag, der hier auf 3450 Meter Höhe fürs Akklimatisieren obligatorisch ist.

Früh um 5 bin ich auf, will den Sonnenaufgang über den Bergen erleben. Suche mir einen gemütlichen Felsen für die freie Sicht nach Osten. Dort endet der 62 Kilometer lange Baltoro-Gletscher, aus dem Gletschertor stürmt der Braldu River. Links des Baltoros staffeln sich Berge, wie ich sie allenfalls mal in den Anden gesehen habe. Aber nie in solcher Menge. Die Cathedral Peaks, die Trango Towers, die Biange Peaks, allesamt über 6000 Meter hoch und fast jeder Berg ein Kunstwerk. Was für eine wilde Welt.

An unseren Ruhetag in Paiju hängen wir einen weiteren. Die Hälfte unserer Gruppe hat’s erwischt: Montezumas Rache. Tribut an die mangelhafte Hygiene, das Kernproblem dieses Treks. Es bleibt unklar, woher das Wasser kommt, ob es lange genug gekocht wurde und wie das Küchenteam arbeitet. Eine 14-köpfige italienische Gruppe nebenan jammert noch heftiger – Krankenstand: 100 Prozent, einige Teilnehmer müssen sogar aufgeben und kehren um. Nach zwei Ruhetagen ziehen wir weiter. Unter wolkenlosem Himmel wandert eine lange Karawane zum Baltoro-Gletscher. Alle müssen dort hoch. Wege gibt es dann nicht mehr, ein endloses Geröllfeld bedeckt das Eis des Baltoro. Die Steine des Karakorum, gesammelt und vom Gletscher transportiert über viele Jahrzehnte.

Achttausender in Sicht

Jeder Schritt will nun sorgfältig platziert sein. Ewiges Auf und Ab. Beschweren kann ich mich indes kaum, bewundere eher die Träger, die scheinbar leichten Fußes – nicht selten steckt er in alten Sandalen – mit 30 Kilo Gepäck sicher ihren Weg finden. Höchster Respekt! Ja, der Baltoro schlaucht, aber der Lohn dafür ist diese unfassbare Landschaft. So wild, so bizarr, so unglaublich groß. Weit im Westen zeigt sich sogar der weiße Rücken des Broad Peak, mit 8051 Metern der zwölfthöchste 8000er. Das motiviert, und noch schöner sind die Trango-Türme, 1500 Meter senkrechter, hellbrauner Fels, für Ex-tremkletterer ein Traum. Und für Fotografen.

750 Höhenmeter später erreichen wir das Camp Khoburtse. An die 50 bunte Zelte setzen Farbtupfer in die braune Geröllwüste am Gletscherrand. Idyllisch? Kaum. Aber der Blick in diese einzigartige Landschaft kompensiert alles. Selbst das Grummeln im Darm. Und wieder schafft es unsere Küchen-Crew, ein gutes Abendessen und literweise heißen Tee zu servieren.

KarakorumTrek K2
Birgit Pütz / Jo Deleker

Halb fünf, der Wecker piepst, packen, Frühstück. Um sechs sind wir unterwegs, wollen die kühlen Stunden nutzen. Es macht euphorisch, so früh schon auf den Beinen zu sein. Der ganze Tag liegt vor uns, das starke Licht des Morgens erleuchtet die Berge, wir sind voller Energie und Neugier auf neue Aussichten. Die nicht lange auf sich warten lassen: Bald erscheint rechts der riesige Masherbrum, auch K1 genannt, 7821 Meter hoch. Seine enorme Nordostwand ist noch nie durchstiegen worden. Selbst der einstige Wunderkletterer David Lama ist an dieser 3500-Meter-Wand gescheitert. Wir gehen nun mitten auf dem Gletscher, das reduziert das ständige Auf und Ab etwas. Die beiden Guides sind oft außer Sichtweite weit voraus, was die Wegfindung für uns nicht gerade erleichtert. Der schweigsame Rehmat ist der schnellste, kein Wunder, war er doch auch schon auf dem K2. Ichat hat es auch erwischt, er schleppt sich durch den Tag. Starke Motive, mächtige Eisabbrüche und coole Gletscherbäche interessieren die beiden nicht. Für uns aber sind das immer Momente zum Staunen, zum Innehalten, zum Fotografieren. Immer öfter taucht nun Eis auf, lange weiße Rücken, die aus der Geröllhalde ragen oder als steile Abbruchkanten in erstaunlich großen Seen enden. Eine Wunderwelt, sagte ich das schon? Im Osten dominieren nun die Gasherbrum-Riesen. Nr. 1 und 2 gehören zum elitären 8000er-Clan, Nr. 3 und 4 verfehlen die magische Linie nur knapp. Und doch ist der G4 (ja, so schnöde werden die Gasherbrums abgekürzt) der schönste Berg weit und breit. Eine gleichmäßige Pyramide, oben abgeflacht und allseits extrem steil. Auf genau dieses Panorama laufen wir nun zwei Tage lang zu, hoch, runter, hoch, runter, mit jeder Stunde wird es mühsamer, aber auch atemberaubender. Was auch an der Höhe liegen mag, wir nähern uns inzwischen der 4500er-Linie.

KarakorumTrek K2
Birgit Pütz / Jo Deleker

Im Thronsaal der Berggötter

Nach sieben Tagen erreichen wir endlich Concordia. Hier öffnet sich das Baltoro-Tal nach Norden und Süden, fünf Gletscher treffen sich, du staunst in eine Welt aus Bergriesen und Eisströmen, wie es sie spektakulärer kaum anderswo gibt. »Thronsaal der Berggötter« wird dieser Ort genannt. Wie passend. Ankommen, durchatmen, Euphorie vertreibt die Erschöpfung. Aber halt, einer fehlt: der K2, der nur von hier so perfekt zu sehen ist. Aber er scheint unpässlich zu sein. Götterzauber? – Der zweithöchste Berg der Erde versteckt sich im Privatgewölk. Trotzdem fühlt es fantastisch an, Concordia erreicht zu haben. Auf eigenen Füßen, und nicht etwa per Heli, wie es am Everest zunehmend zur Unsitte geworden ist.

Haben die Götter etwa eine besondere Inszenierung im Sinn? Und ob! Sehr früh am nächsten Morgen krieche ich aus dem Zelt. Minus 4 Grad, windstill, wolkenlos. Und da ist er: der Chogori, der K2, ein paar fotogene Wölkchen tanzen um die legendäre Pyramide, der ewige Höhensturm treibt Schneefahnen vom Gipfelgrat. Ich suche mir einen gemütlichen Sitzfelsen, richte Kamera und Stativ aus und warte auf die ersten Sonnen-strahlen, die den 8611 Meter hohen Gipfel berühren. Um 5 Uhr ist es so weit. Kein Mensch weit und breit, völlige Stille. Der Traum wird wahr, dafür haben sich die Strapazen gelohnt. Und das an meinem Geburtstag.

Die Basics für den Karakorum-Trek

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