Zwei Seile sorgen für Redundanz, erhöhen die Sicherheit vor einem Seilabriss im alpinen Gelände, erlauben längere Abseilstrecken und damit den schnelleren Abstieg oder auch Rückzug.
Eine Formel für ewige Sicherheit ist aber auch durch „Zwei statt eins“ nicht gefunden. Die Entwicklung immer dünnerer Seile und die Zulassung mancher Seile als Halb- und Zwillingsseile gleichzeitig führt nicht zu mehr Klarheit in der richtigen Anwendung, wie wir sehen werden. Es gilt weiterhin: Wer sich im alpinen Gelände bewegt, muss wissen, was er tut.
Auf den folgenden Seiten erklären wir, worauf es bei Halb- und Zwillingsseilen ankommt.
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Halb- und Zwillingsseile: Unterschiede in der Theorie
Es ist schon sehr lange her, dass ein 11-mm-Einfachseil und ein 9-mm-Halbseil Standard waren. Als diese Durchmesser noch gängig waren, war das Zwillingsseil (damals etwa 8 bis 8,5 mm) eine sinnvolle Ergänzung nach unten. Heute verschwimmen die Grenzen zunehmend.
Zur Erinnerung: Beim Klettern mit dem Halbseil darf ein Strang einzeln in die Zwischensicherung eingehängt werden. Er wird im Sturzfall dann auch einzeln belastet und deshalb in der Normprüfung im Einzelstrang getestet, allerdings nur mit einer Sturzmasse von 55 Kilgramm. Denn erstens garantiert die mindestens zu haltende Normsturzzahl (5 Stürze) laut Beal, dass so ein Seil auch zwei Normstürze mit 80 Kilogramm übersteht. Zweitens ist der Normsturz mit 80 Kilogramm derart hart (keine dynamische Sicherung, hoher Sturzfaktor), dass er in der Praxis so nie eintreten wird. Und drittens ist ja beim Halbseil noch ein zweiter Seilstrang da, es besteht also Redundanz.
Beim Zwillingsseil müssen hingegen stets beide Stränge in die Zwischensicherung eingehängt werden, es wird also benutzt wie ein Einfachseil und kommt häufig beim alpinen Sportklettern zum Einsatz. Deshalb wird es auch getestet wie ein Einfachseil: Die Sturzzahl wird mit 80 Kilogramm im Doppelstrang ermittelt. Neben der Sturzzahl sind natürlich auch die übrigen Normbedingungen einzuhalten wie Fangstoß, Gebrauchsdehnung oder Sturzdehnung (mehr dazu hier).
Da Zwillingsseile stets doppelt eingehängt werden, und sich bei zwei eingehängten Strängen der Fangstoß gegenüber einem einzelnen eingehängten Seil erhöht, bedeutet das, dass Zwillingsseile grundsätzlich auf einen niedrigeren Fangstoß optimiert sind.
Die Probleme der Mehrfachzulassung
Auch Edelweiss und Tendon haben Seile im Programm, die als Zwillings- und als Halbseile zugelassen sind, und die anderen Hersteller könnten eine solche Mehrfachzulassung für einige ihrer Seile ebenfalls erreichen, wollen es aber derzeit nicht.
Nun könnte man ja denken: „Ist doch super, wenn ein Seil für möglichst viele Einsatzmöglichkeiten zugelassen ist.“ Das ist einerseits richtig, nur wird das mit den dünnen Seildurchmessern inzwischen im Grenzbereich unter Umständen fragwürdig. Alle Hersteller sind mit ihren dünnsten Halbseilen inzwischen bei rund acht Millimeter Durchmesser angelangt, das war früher ein typischer Zwillingsseildurchmesser. Manche Einsatzempfehlungen orientieren sich aber am Seiltyp. Wer zum Beispiel in der Dreierseilschaft unterwegs ist und zwei Nachsteiger an zwei Seilsträngen nachsichert, soll laut DAV entweder ein Halb- oder zwei Einfachseile benutzen, nicht aber ein Zwillingsseil. Sollte nämlich der Nachsteiger womöglich im Quergang stürzen und das Seil über eine Kante laufen, ist man über jedes Quentchen mehr Arbeitsfähigkeit des Seils froh. Denn wie Chris Semmel von der Sicherheitsforschung des DAV weiß: "Für eine erhöhte Kantenfestigkeit des Seils hilft nur mehr Masse."
Mehr Masse geht aber mit mehr Durchmesser einher. Es scheint daher fragwürdig, Gebrauchsempfehlungen wie die obige nur am Seiltyp festzumachen, wenn Halbseile heute so dünn sind wie früher Zwillingsseile. Eigentlich müssten sie zumindest mit einer Angabe eines Mindestdurchmessers verbunden werden.
In manchen alpinen Regionen schreiben die Bergführerverbände ihren Mitgliedern sogar vor, in der Dreierseilschaft zwei Einfachseile zu verwenden. Hinzu kommt, dass die dünnen Seile im Handling neue Herausforderungen stellen, vor allem beim Nachsteigen und Ablassen. Ein Bergführer (!) ließ letztes Jahr einen Kunden, den er an einem Strang eines 7,5-mm-Zwillingsseils mit dem HMS ablassen wollte, durchrauschen, weil die Bremskraft zu gering war. Sichern mit dem HMS wird bei Halbseiltechnik nicht empfohlen, generell sollten bei Halb- und Zwillingsseilen Tubes und für den Nachstieg selbstblockierende Plates (bzw. Kombinationen aus beiden) verwendet werden. Beim Ablassen am Einzelstrang muss man extrem aufpassen und eventuell tricksen (zusätzliche Umlenkung am Stand oder ähnliches).
Scharfkantenfestigkeit und Imprägnierung
Durch einen extrem harten Sturz in den Stand rissen beide Halbseilstränge, der Stürzende kam dabei zu Tode. Die Seile müssen wohl über eine Kante gelaufen sein. Selbst die Redundanz nützte in diesem Fall nichts mehr.
Pit Schubert folgerte in der Zeitschrift „bergundsteigen“
aus diesem Unfall: „Wir brauchen scharfkantenfestere Seile und reproduzierbare Prüfmethoden für diese Seile.“ Die alte Prüfmethode, bei der ein Seil senkrecht über eine Kante mit einem Radius von 0,75 Millimeter lief, ergab weder reproduzierbare Ergebnisse, noch wird sie als praxisgerecht angesehen, da das Seil in der Realität meist noch zusätzlich schräg über die Kante läuft (wie über ein Messer). Dann braucht es gar keine allzu scharfe oder lange Kante: Eine 90-Grad-Kante kann genügen, und schon fünf Zentimeter Kantenlänge können ebenfalls ausreichen, um ein im Sturzfall gespanntes Seil abzutrennen. Eine Norm und damit prüfbare Angaben zu den Seilen stehen derzeit noch in den Sternen.
Manche Firmen machen Angaben zur Scharfkantenfestigkeit, solange diese Werte aber nicht reproduzier- und prüfbar sind, sollte man sie mit Vorsicht genießen. Vorläufig hilft nur die Erkenntnis von Chris Semmel, wonach im Grundsatz mehr Masse mehr Scharfkantenfestigkeit bringt. Und die Beruhigung, dass der eingangs genannte Unfall der bisher einzige seiner Art war. In aller Regel funktioniert die Redundanz eben doch.
Was die Seilimprägnierung angeht, ist ebenfalls eine Norm angedacht, die mit einem Berieselungsverfahren arbeiten soll. Wann sie kommen wird, ist noch unklar. Bis dahin bleibt auch die Wasseraufnahme von Seilen nicht sicher reproduzierbar (vor allem, da sich diese ja mit dem Gebrauch ändert).
Fangstoß: Noch unterschiedlich bewertet
Ein Seil mit niedrigem Fangstoß belastet im Sturzfall die Sicherungspunkte weniger, ergo ist die Gefahr geringer, dass die Sicherung ausbricht. Wenn es ganz brenzlig wird, ist es also am besten, nur einen Strang eines Halbseils einzuhängen, denn so wird im Sturzfall die Belastung des Sicherungspunktes minimiert. Zudem hat Beal Seile mit sehr niedrigem Fangstoß am Markt, die Empfehlung macht also auch im Rahmen des eigenen Produktmarketings Sinn.
Im Grundsatz ist dieser Ansatz natürlich völlig richtig, und die Reduzierung des Fangstoßes bei der Halbseiltechnik in der Praxis ein nicht zu unterschätzender Sicherheitsvorteil. Unklar ist allerdings, ob die nicht allzu großen Unterschiede zwischen den Fangstößen der Seile der verschiedenen Hersteller in der Praxis tatsächlich zu großen Unterschieden in der Krafteinwirkung auf die Zwischensicherung führen.
Dies wird von anderen Seilherstellern verneint, denn erstens wird im alpinen Gelände stets dynamisch gesichert, und die Bremskräfte der meisten Sicherungsgeräte liegen deutlich unter dem maximal möglichen Fangstoß der Seile.
Zum zweiten fallen die Stürze in der Praxis nie so hart aus wie in der Normprüfung. Die Kehrseite des niedrigen Fangstoßes ist meist eine höhere Dehnung und schnellerer Verschleiß des Seils.
Eine Kombination aus geringer Dehnung und geringem Fangstoß ist auf jeden Fall kein Fehler.
Beal Ice Line 8,1 mm
Das Ice Line ist mit seiner glatten Oberfläche, der Golden Dry-Ausführung und dem geringen Fangstoß besonders für Eisfälle und alpine Eisrouten ausgelegt, Imprägnierung und Oberflächenstruktur sollen das Vereisen des Seils verhindern.
Abriebfester im Fels und gängigstes Allroundseil für den alpinen Einsatz ist bei Beal das Cobra.
Bis auf das Ice Twin gibt es alle Seile außer mit der Golden-Dry-Imprägnierung, bei der die Garne des Kerns und Mantels schon vor der Flechtung imprägniert werden, auch mit Dry Cover (dabei wird nur der Mantel imprägniert).
Die Halb- und Zwillingsseile Seile von Beal in der Übersicht:
*ES-Einfachseile/ HS-Halbseile/ ZS- Zwillingsseile
**Preis pro 60m Strang und jeweils mit "Golden Dry" als "Cover Dry" etwa 20 Euro weniger

Edelrid Merlin
Das Programm an Halb- und Zwillingsseilen wird mit nur noch drei Vertretern sehr übersichtlich. Teilweise werden sich bei dieser Umstellung die Seilkonstruktionen leicht ändern.
Ganz neu ist aber ein Imprägnierungsverfahren, bei dem nun auch die einzelnen Garne schon vor der Flechtung behandelt werden. Diese neue Imprägnierung weisen das Zwillingsseil Colibri und das Halbseil Merlin als Standard auf, andere Ausführungen gibt es hier nicht.
Das Kestrel gibt es dagegen auch ohne diese Spezialimprägnierung, wodurch der Preis beim 60-Meter-Strang auf 149 Euro sinkt.
Die Halb- und Zwillingsseile Seile von Edelrid in der Übersicht
*HS-Halbseile/ ZS- Zwillingsseile
**Preis pro 60m Strang

Millet Pro Force
Das Pro Force ist das dickste und stabilste der Halbseile von Millet und der alpine Allrounder.
Allen Halbseilen gemeinsam ist die Imprägnierung von Kern und Mantel und eine Aufwicklung des Seils ab Werk, die ein sofortiges Verwenden (ohne umständliches Abrollen) erlaubt.
Eine besondere Konstruktion wendet Millet bei den Seilen der Triaxiale-Serie an: Der Kern besteht aus drei definierten Strängen. Dies soll die Lebensdauer und das generelle Handling verbessern. Theoretisch könnte bei einem beschädigten Seil sogar das Abseilen an einem einzelnen dieser Stränge möglich sein, ausprobieren möchte man das aber nicht.
Ansonsten tut sich Millet auch noch auf einem anderen Feld hervor: Seile werden dort inzwischen auch recycelt. Mehr dazu in der nächsten Ausgabe.
Die Halbseile Seile von Millet in der Übersicht:
*HS-Halbseile/ ZS- Zwillingsseile
**Preis pro 60m Strang

Roca Migu
Roca legt dabei wie Beal hier großen Wert auf den sehr niedrigen Fangstoß.
Die Tot Sec genannte Imprägnierung wird beim Migu auf Kern und Mantel aufgebracht, der Mantel wird zusätzlich noch einmal behandelt („Long Life“).
Bei den dickeren Halbseilen Fanatic und Strong – letzteres bewirbt Roca übrigens als „beste Wahl für Dreierseilschaften“ – kommt dann lediglich die Mantelimprägnierung „Long Life“ zum Einsatz, die neben einer wasserabweisenden Wirkung vor allem dem Schutz der Fasern und damit der Langlebigkeit der Seile dient. Sowohl für das Fanatic als auch das Strong sieht Roca den idealen Einsatzbereich beim klassischen Bergsteigen und Felsklettern.
Die Halbseile Seile von Roca in der Übersicht:
*HS-Halbseil
** Preis pro 60m Strang.

Edelweiss Oxygen
Mit 8,2 Millimetern ist das Oxygen das dünnste und leichteste Halbseil im Edelweiss-Programm. Wie fast alle Halb- und Zwillingsseile bei Edelweiss verfügt das Oxygen über eine Ausstattung mit Super Everdry, bei der Kern und Mantel imprägniert sind. Nur das Dynamic, das auf alpines Sportklettern ausgelegt ist, begnügt sich mit Everdry (Mantelimprägnierung).
Edelweiss erlaubt sich gegenüber anderen Herstellern zwei Besonderheiten: Erstens verweist es bei den Seilen der Sharp-Linie auf die Einhaltung der nicht mehr als Norm gültigen Scharfkantenprüfung.
Zweitens hat es einen eigenen Test der Abriebfestigkeit entwickelt, der mangels Verbreitung aber noch nicht zum Vergleich mit anderen Seilen genutzt werden kann.
Die Halb- und Zwillingsseile Seile von Edelweiss in der Übersicht:
*HS-Halbseil/ ZS-Zwillingsseil
**Preise pro 60m Strang

Mammut Genesis
Als Allrounder für alle alpinen Spielarten hat Mammut das Genesis im Angebot. Das Seil aus Mammuts Balance-Line ist auf Vielseitigkeit und Langlebigkeit ausgelegt, der Mantelanteil etwas erhöht. Es weist eine Superdry-Imprägnierung auf, bei der Mantel und Kern imprägniert werden.
Auf eine Einzelimprägnierung der Garne verzichtet Mammut, weil diese nach ihrer Auffassung beim späteren Flechten wieder beschädigt wird.
Bei den Seilen der Challenge-Line (Seile mit minimalem Gewicht, hier Twilight und Phoenix) kommt zusätzlich noch das Coating-Finish dazu, bei dem die einzelnen Seilfasern mit Teflon beschichtet werden, was deren Gleitfähigkeit und damit die Arbeitsfähigkeit und Lebensdauer des Seils erhöht.
Ganz auf Langlebigkeit getrimmt ist das Universe aus der Endurance-Line.
Die Halb- und Zwillingsseile Seile von Mammut in der Übersicht:
*HS-Halbseil/ ZS-Zwillingsseil
** Preis pro 60m Strang

Tendon 7,8 Master
Die Master-Seile sind dabei immer noch etwas mehr auf Performance und Vielseitigkeit ausgelegt, zudem enthalten sie grundsätzlich einen elektronischen Chip im Seilende, der die Seildaten enthält und mit dem passenden Lesegerät vom Benutzer mit weiteren Informationen (Nutzungsdauer etc.) gefüllt werden kann.
Tendon lässt einige seiner Seile, darunter auch das hier gezeigte 7.8 Master, als Halb- und Zwillingsseile zu, so dass die Stränge einzeln oder zusammen geklinkt werden dürfen.
Alle Seile gibt es in einer Standardausführung und in einer Ausführung mit Complete Shield, bei dem Seilkern und -mantel mit einer Teflonbeschichtung gegen Wasser und Abrieb geschützt wird.
Die Halb- und Zwillingsseile Seile von Tendon in der Übersicht:
*HS-Halbseil/ ZS-Zwillingsseil
**Preis je 60m Strang und jeweils mit Imprägnierung "Complete Shield"
