(Update: Im April 2019 verlor David Lama mit Hansjörg Auer und Jess Rosskelley sein Leben in einer Lawine.)
Patagonien, Sommer 2009/2010: David Lama ist erstmals am Cerro Torre. Sein Ziel: die erste freie Begehung der Kompressor-Route. 1970 sorgte Cesare Maestri hier für einen Skandal, als er sich mithilfe eines Kompressors nach oben bohrte. Auch David Lama erntete viel Kritik, weil für sein Filmteam weitere Bohrhaken installiert werden. Letztlich umsonst, denn David ist weit davon entfernt, seinen Traum zu realisieren. Im Januar 2011 steigt David Lama wieder am Cerro Torre ein, ohne Filmteam. Diesmal erreichen er und Peter Ortner in technischer Kletterei den Gipfel. Anfang 2012 reisen Lama und Ortner erneut an, doch kurz bevor sie einsteigen, entfernen Hayden Kennedy und Jason Kruk rund 120 Bolts, darunter alle Zwischenhaken in der Headwall. Doch David Lama ließ sich nicht beirren und kletterte am 20. und 21. Januar die Kompressorroute komplett frei. Nach seiner Rückkehr haben wir mit ihm gesprochen.

Einst Wettkampf-Wunderkind, jetzt alpine Wände und hohe Berge. Überrascht dich deine Entwicklung manchmal selbst?
Nein, eigentlich nicht. Ich habe ja draußen angefangen zu klettern, deshalb war ich schon immer sehr Fels- und auch den Bergen verbunden. Und so war es in meinen Augen eine natürliche Entwicklung, dass es zurückgegangen ist in die Berge und zum alpinen Klettern. Beim Sportklettern war ich irgendwann nicht mehr dazu bereit, mich für lange Zeit auf ein Projekt zu konzentrieren. Ich bin einige Routen im Grad 8c+/9a im zweiten Versuch geklettert, der Reiz etwas viel Schwereres über lange Zeit zu probieren, war einfach nicht groß genug. Dagegen konnte ich beim Alpinen noch sehr viel dazu lernen. Es ist immer interessant, etwas Neues zu probieren, wo man noch nicht so viel Erfahrung hat. Immer das Gleiche zu machen, ist doch langweilig! Das heißt nicht, dass ich nicht immer noch begeistert am Sportklettern bin, aber ich bin sicher weniger oft in der Halle und weniger beim Sportklettern als früher.
Wie haben deine Sponsoren reagiert, als du gesagt hast: Jetzt ist Schluss mit Wettkämpfen?
Als ich Ende 2008, Anfang 2009 mit dem Torre-Projekt ankam, hieß es: Willst du dir nicht lieber noch ein bisschen Zeit lassen, magst du nicht lieber noch ein paar Jahre im Wettkampf bleiben? Aber sie haben dann schnell gemerkt, dass das mein Traum ist und dass ich mich nicht davon abbringen lasse.
Wie fühlt es sich an, die Kompressorroute befreit zu haben?
Ehrlich gesagt hat der Freiklettererfolg fast einen geringeren Stellenwert für mich als unsere Besteigung letztes Jahr. Da waren wir voll am Limit unterwegs und hatten nur eine 50/50-Chance, überhaupt irgendwie raufzukommen. Das war eine lässige Aktion, bei der wir alles auf eine Karte gesetzt haben. Als wir dann auf dem Gipfel standen – das war um 22 Uhr, die Sonne war schon untergegangen und es hatte so ein grünes Licht –, das war gewaltig! Den Freiklettererfolg muss man anders bewerten, das war eben der Abschluss des Projekts. Das war auch lässig, aber emotionaler war die Besteigung 2011.
Damals habt ihr gar nicht erst versucht, frei zu klettern?
Nein, da ging‘s nur darum, irgendwie hochzukommen und vielleicht zu schauen, ob freiklettern möglich ist. Dann haben wir gesehen, dass die Headwall Strukturen hat und wir an der Bolt-Traverse links vorbeikommen sollten. Deshalb hatte ich diesmal ein sehr gutes Gefühl. Ich wusste, was mich erwartet, das Wetter passte und wir waren fit. Als wir die Bolt-Traverse hinter uns hatten und im Biwak saßen, waren wir uns sicher, dass wir durchkommen.
Obwohl alle Bohrhaken in der Headwall fehlten?
Trotzdem. Wir haben uns gesagt: Schwerer als die Umgehung der Bolt-Traverse wird‘s nicht mehr, und egal wie, wir schaffen das!
Habt ihr eure Linie – unter dem Kompressor nach rechts – also schon letztes Jahr ausgespäht?
Das habe ich schon immer gesagt!
Wie, schon immer?
Die Idee, die Kompressorroute frei zu versuchen, entstand ja 2008, als ich im chilenischen Valle Cochamo in einem Klettermagazin ein Foto der Headwall entdeckt habe. Und auf dem habe ich gesehen, dass sich rechts der Route die Felsfarbe verändert. Deshalb habe ich von Anfang an vermutet, dass es da mehr Struktur hat. Dass es wirklich so ist, habe ich dann 2011 gesehen, und dieses Jahr sind wir dort hochgeklettert. Ich hab‘s nie verstanden, warum alle anderen vor mir immer von der Originallinie nach links abgebogen sind.
Nach deinem Versuch 2010 gab‘s massive Kritik an dir und Red Bull, weil neue Bolts gesetzt und Material zurückgelassen wurde. Was ist damals schief gelaufen?
Einiges! Wir haben Fehler gemacht, aber daraus gelernt und die Sache jetzt in einem Stil durchgezogen, der wirklich einwandfrei ist. Ich brauche kein Filmteam zum Bergsteigen, die meiste Zeit bin ich ohne unterwegs. Aber ich habe gelernt: Wenn ich ein Filmteam dabei habe, muss sich dieses genauso an die Spielregeln halten. Das ist für mich die Hauptlektion aus der Geschichte.
Hattest du die Sensibilität der Klettergemeinde unterschätzt?
Wahrscheinlich schon. Aber wir haben uns auch vor dem ersten Versuch Gedanken gemacht. Es gab die Vorgabe, möglichst wenig Bohrhaken zu setzen und die Fixseile abseits der Route zu installieren. Nur ist das von unserem Lead-Guide nicht so beherzigt worden. Deshalb war der jetzt auch nicht mehr dabei – weil er meinte, anders könne er die Sicherheit des Filmteams nicht garantieren. Daraufhin gab es für uns zwei Möglichkeiten: Wir suchen uns einen anderen Lead-Guide, der das in unserem Sinne macht. Oder – wenn wir keinen finden – müssen wir das Filmprojekt eben aufgeben. Mit Markus Pucher haben wir dann jemand gefunden, der bereit war, mit einem zweiten Bergführer plus Kameramann als separates Team hinaufzusteigen.
Hast du damals überhaupt mitbekommen, dass so viele Bohrhaken gesetzt werden?
Ich glaube, es war so, dass Daniel Steuerer, mein Partner 2009/2010, am ersten Tag krank war. Deshalb sind wir etwas verspätet eingestiegen, und da waren schon einige Bolts gesetzt worden. Aber egal, irgendwer muss den Kopf dafür hinhalten. Und wenn ein Film über mich gedreht wird, dann bin auch ich dafür verantwortlich.
„Ich wollte das Projekt unbedingt durchziehen“ David Lama über seine Cerro Torre-Begehung
Es war also deine Schuld und nicht die von Red Bull?
Natürlich trifft uns beide Schuld, aber trotzdem bin ich es, der verantworten muss, was letztlich am Berg passiert. Ohne mich wäre kein Team da, also trifft mich auch die Hauptschuld.
Hast du die Kritik nur über die Medien mitbekommen oder bist du auch vor Ort von Kletterern kritisiert worden?
Das ist auch so eine Sache. Die Leute trauen sich ja letztlich nicht, jemand persönlich anzusprechen. Ich habe das hauptsächlich über die Medien mitbekommen. Wenn ich das Jahr darauf in El Chalten Leute getroffen habe, waren alle schön still.
Hat dich der strikte Alpinethiker und „Patagonien-Hausmeister“ Rolando Garibotti je diesbezüglich kontaktiert?
Nein, nicht dass ich mich erinnern könnte. Die allermeiste Kritik kam wirklich über die Medien, übers Internet. Wie gesagt, die war ja auch gerechtfertigt, das hat schon gepasst. Vielleicht hätten wir es sonst auch nicht gelernt. Allerdings ist die Diskussion dann so ausgeartet, dass es für mich schwierig war zu entscheiden, welche Lehren ich daraus ziehen soll. Der eine beschuldigt dich für das, der andere für das, und dann kursierten und kursieren im Internet immer noch Fakten, die einfach nicht stimmen. 20, 100, 200 Bohrhaken, die wir angeblich gesetzt haben …





Wieviele waren es tatsächlich?
Ungefähr 30, aber davon steckt jetzt kein einziger mehr.
Auch welche direkt auf der Linie der Kompressorroute?
Es waren zum Teil wirklich welche auf der Linie. Wie gesagt, unser Plan, nur Bohrhaken abseits der Linie zu setzen – auch um keine anderen Kletterer zu stören –, wurde damals nicht durchgehend beherzigt.
Ist euer Material mittlerweile restlos vom Berg entfernt?
Ja, inzwischen ist alles weg. 2010 konnten wir nicht mehr alles selbst entfernen, da das Wetter andauernd schlecht war. Deshalb haben wir argentinische Bergführer engagiert, die bei nächster Gelegenheit möglichst alles rausholen sollten. Das meiste haben sie dann runter gebracht, einen Teil hat Rolo Garibotti im Herbst 2010 abgebaut, und den Rest haben wir Anfang 2011 selbst entfernt.
Hast du nach der massiven Kritik auch mal daran gedacht, das Projekt aufzugeben?
Eigentlich nicht. Ich wollte das Projekt unbedingt durchziehen und habe mir gesagt, okay, es sind Fehler passiert, aber mit denen muss ich jetzt leben. Die Frage war für mich nur, wie ich mit diesen Fehlern umgehe. Und die Lehre war, dass wir gesagt haben, in diesem Stil wollen wir auf keinen Fall weiter machen, sondern nur in einem wirklich sauberen Stil. Aber mein Projekt wollte ich mir auf keinen Fall nehmen lassen.
Kurz vor deiner freien Begehung gab‘s wieder große Aufregung. Diesmal, weil die Kompressorroute teils ausgenagelt wurde. Wann hast du davon erfahren?
Ich glaube, das war zwei Tage, bevor wir eingestiegen sind.
Was war dein erster Gedanke?
Das ist mir total egal! Ich habe gewusst, dass man die Headwall absichern kann. Und ich wusste, dass ein Schönwetterfenster bevorsteht. Dass wir das erste Mal in drei Jahren und vielleicht das einzige Mal für die nächsten drei Jahre eine Chance haben. Ich wollte das einfach durchziehen.
Wie war die Stimmung in El Chalten nach der Ausnagelung?
Wir waren schon am Berg, als Jason und Hayden in El Chalten eingetroffen sind. Aber angeblich ging es ziemlich heiß her. Die beiden wurden zur Rede gestellt, und es wurde ein Meeting einberufen, wo diskutiert wurde, wie gegen sie vorgegangen werden soll. Denn auch die Einheimischen waren verärgert. Für die ist der Cerro Torre der Berg schlechthin, und die Ausnagelung hat ihnen gar nicht getaugt. Als wir zurückkamen, waren wir mit Jason und Hayden beim Bier trinken, und sie meinten, dass sie sich gerade gar nicht wohlfühlen in El Chalten.





„Die originale Kompressorroute kann man nicht mehr klettern“ – David Lama im Interview
Stimmt es, dass die ausgenagelten Bohrhaken als „Corpus delicti“ von der Polizei konfisziert wurden?
Ja.
Viele berühmte Alpinisten befürworten die Ausnagelung, viele italienische Bergsteiger sind dagegen ziemlich erbost. Was ist deine Meinung?
Ich denke, man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Die Ausnagelung stellt nicht den Urzustand wieder her. Hayden und Jason haben nur ein weiteres Kapitel zur Geschichte des Cerro Torre hinzugefügt. Es ist ja auch nicht so, dass sie alle Bohrhaken entfernt haben, bei weitem nicht. Ich finde die beiden nett, aber ihre Aktion war frech und anmaßend. Nur weil sie die Bohrhaken nicht benutzt haben, können sie nicht alle anderen zwingen, es genauso tun zu müssen. Man muss sich vor Augen halten, dass auch andere Routen genagelt wurden: Die letzten beiden Seillängen der Nose am El Cap sind komplett genagelt, die Camilotto/Pelissier an den Zinnen – es gibt unzählige Beispiele. Der Torre war schon vor 1970 ein Berg mit einer besonderen Geschichte. Und da sind eben immer mehr Kapitel hinzugekommen. Erst die Kompressorroute, dann die Ferrariroute, dann die Geschichte mit der Alubox – das war ja der nächste Wahnsinn! Der Berg ist und bleibt ein Mythos und mit jedem Kapitel, das dazukommt, wird dieser Mythos wachsen.
Welchen Einfluss hatte die Ausnagelung auf eure Strategie?
Eigentlich keinen. Wir hatten ohnehin Bohrhaken dabei. Ich denke, da gibt‘s nichts zu meckern. Wenn ich meine eigene Variante freiklettern will und dazu Bohrhaken brauche, dann ist das mein Bier. Wir hatten einen Handbohrer dabei und fünf Bolts. Beim Material haben wir extrem gespart: die leichtesten Klamotten, die leichteste Hardware, selbst beim Bohrer haben wir herumexperimentiert. Dann hatten wir Sechs-Millimeter-Bolts dabei, um Zeit beim Bohren zu sparen. In der Route haben wir alles, was nicht unbedingt nötig ist, am Col de la Paciencia gelassen, wie Bauchgurte und Deckeltaschen der Rucksäcke. Am Fuß der Headwall haben wir dann unseren zweiten Rucksack mit Matten, Schlafsäcken und Kocher hängen lassen. Wir haben wirklich versucht, so leicht wie möglich unterwegs zu sein, um schnell klettern zu können. Kurzfristig haben wir unsere Strategie nur insofern geändert, dass wir nicht am Col biwakiert haben, sondern erst an den Ice Towers, um mehr Zeit für die Headwall zu haben. Aber noch mal zur Ausnagelung. Wir haben keinen einzigen Bohrhaken gesetzt. Jason hat dagegen bei seinem Versuch 2011 mit Chris Geisler einen Bolt in der Headwall gesetzt, den sie jetzt wieder benutzt haben. Nach ihrer Logik hätte ich den Haken nach meiner Begehung auch raushauen können …
Wie sieht die Kompressorroute jetzt konkret aus, wie schwierig ist eine technische Begehung?
Die Standplätze sind alle noch drin, aber die originale Kompressorroute kann man nicht mehr klettern. Die letzte Länge unter dem Eispilz ist ohne Bolts unkletterbar, die ist total glatt. Da muss man jetzt über die Kruk/Kennedy oder über die Lama/Ortner (lacht). Die Linie von Jason und Hayden kenne ich nicht, da muss man sich auf ihre Bewertung verlassen. Unsere Linie geht sicher irgendwie in technischer Kletterei, aber das ist ungut. Das dauert zu lang, die Kletterei spielt sich oft an „expanding flakes“ ab und dazu ist es oft brüchig. Bis zum Kompressor kommt man bestimmt in technischer Kletterei, ich denke, das ist nicht so wild. Unten rauf kann man noch das meiste klettern, da haben sie, soviel ich weiß, nur eine Länge oberhalb der Bolt-Traverse ausgenagelt. Die Traverse selbst haben sie belassen, die muss man im Abstieg ja auch zurückklettern.





Wie schwierig ist eure Variante in der Headwall frei geklettert?
7b haben wir geschätzt. Die gesamte Headwall sind fünf Seillängen, die erste im Bereich 6c, dann zwei zwischen 7a und 7b, und dann noch unsere zwei neuen Seillängen, die beide um 7b sind.
Beschreib uns die Schlüsselseillänge deiner freien Begehung.
Die ist auf der Höhe der Bolt-Traverse, wo wir am Beginn des „Salvaterra Crack“ nach links sind, eine neue Länge eröffnet haben und wieder in die Salvaterra-Variante gequert sind. In der Länge kletterst du erst einen Riss, wo du ein paar kleine Friends und Keile unterbringst. Dann kommt ein Normalhaken, den Zach Smith und Josh Wharton 2007 geschlagen haben, um einen Pendelquergang zurück zum „Salvaterra Crack“ zu machen. Von dort bin ich vier richtig schwierige Meter gerade an der Kante hoch, dann geht‘s etwas leichter vier Meter rechtshaltend, bevor du wieder was legen kannst. Danach wird‘s deutlich leichter.
„Richtig schwierig“ heißt?
Bei der Begehung dachte ich, das dürfte so um 8a sein. Wenn ich die Passage aber mit meinen Routen von 2011 vergleiche, müsste sie fast härter sein. Normal brauche ich keine vier Anläufe, um eine 8a-Stelle überhaupt hochzukommen. Gepunktet habe ich die Länge dann im zweiten Rotpunktversuch. Aber ich bleibe bei 8a. Das ist mir auch egal – bei dem Projekt geht es nicht um den Grad!





„Es gab immer wieder kritische Situationen“ – David Lama im Interview
Denkst du, das noch andere freie Variationen der Kompressorroute möglich sind?
Jason und Hayden meinten, dass ihre Headwallvariante wohl auch frei möglich sei, allerdings deutlich schwerer. Wir haben in der Headwall die leichteste Linie gesucht, und ich denke auch gefunden. An der Bolt-Traverse könnte man sicher unterhalb nach rechts queren und dann den Gully hinauf, aber der ist brutal Eisschlag-gefährdet. Der Gipfel-Eispilz und die Iced Towers bombardieren fast die komplette Ostwand und in dem Gully kommt das ganze Eis dann zusammen. Da willst du nicht hin!
Wie gefährlich war die Kletterei, wie weit die Runouts?
Wie gesagt spielt sich die Kletterei in der Headwall meist an Flakes ab, hinter denen sich Schnee und Eis ablagert und sie stabilisiert. Je wärmer es ist und je länger ein Schönwetterfenster andauert, desto instabiler werden sie. Bei uns waren viele schon locker – und so war die Absicherung nicht so toll. Wir haben hauptsächlich mit Friends gesichert, hin und wieder mal ein Keil oder Normalhaken. Ganz oben in der Headwall kommt kurz vor dem Ausstieg ins Eis noch mal eine richtig blöde Stelle. Da sind zwei tischgroße, aufeinandergestapelte Blöcke, die auf einem schmalen Querband liegen. Auf die musst du draufsteigen – mit der letzten guten Sicherung 15 bis 20 Meter unter dir. Wir haben deshalb am Standplatz darunter ein Halbseil weit links eingehängt, das andere hätte es ziemlich sicher durchgeschlagen, wenn einer der Blöcke abgegangen wäre. Die Stelle ist echt übel!
Was war die kritischste Situation bei deinen drei Versuchen?
Es hat immer wieder kritische Situationen gegeben. Generell darfst du in vielen Passagen nicht stürzen. 2011 sind wir beim ersten Versuch bis zur Bolt-Traverse geklettert, dann wurde es uns zu gefährlich. Es war sehr warm, die Sonne kam raus, und über uns hingen Tonnen von Eis, die sich zu lösen begannen. Deshalb haben wir abgeseilt. Kurz nachdem wir den Standplatz verlassen hatten, ist dort ein fetter Eisblock eingeschlagen. Der gefährlichste Moment war aber wohl bei dem Versuch 2011, als wir auf den Gipfel gekommen sind. Ich stieg gerade den Eisgully an den Ice Towers vor und war sicher zehn Meter über der letzten Eisschraube, als mir ein Eisblock auf den Helm gekracht ist, ihn zerschlagen hat und dann auf meine Schulter gefallen ist. Gott sei Dank konnte ich mich an den Eisgeräten festhalten und bin dann auch weitergeklettert.
Wie anspruchsvoll war der Torre im Vergleich zu deinen alpinen Unternehmungen der letzten Jahre? Zum Beispiel zu der Erstbegehung an der Sagwand, die du 2008 mit Jorg Verhoeven gemacht hast?
Die Sagwand ist und bleibt eine harte Nummer, die hat – soweit ich weiß – bis jetzt auch keine Wiederholung. Keine Ahnung, ob meine Freikletterei am Torre in Zukunft öfters wiederholt wird …





2011 hast du sensationell viele harte und/oder wilde alpine Routen geklettert. Was war dein persönliches Highlight des Vorjahres?
Die Paciencia am Eiger. Das ist eine unglaublich anspruchsvolle Tour. Ich war topfit, habe davor die Pan Aroma und einige andere schwere Routen geklettert. Und dann bin ich zum Eiger gefahren und habe in der Paciencia// eine 7b+ Länge dreimal probieren müssen, wobei ich mir sicher bin, dass in der Länge entweder etwas ausgebrochen ist oder schlichtweg die Bewertung nicht stimmte. Viele der Seillängen waren aber einfach brutal komplex, anspruchsvoll und verdammt schwer! Auf jeden Fall aber eine coole Tour mit super Fels!
Warum hat es diesmal am Cerro Torre geklappt und nicht schon 2010 oder 2011?
Zum einen wegen der Bedingungen, was aber eher Grundvoraussetzung ist. Entscheidend in meinen Augen war, dass ich 2011 keine Wettkämpfe geklettert bin und mich im Alpinen austoben konnte. Ich bin sehr viele Routen geklettert und habe viel dazugelernt. Auch in den ersten zwei Jahren in Patagonien habe ich viel gelernt, zum Beispiel Wetterkarten zu interpretieren. Bei den gescheiterten Versuchen haben wir auch viel über die Route gelernt. Zum Beispiel gibt‘s da eine Seillänge noch unterhalb der Bolt-Traverse, wo du einen Haken nicht klippen solltest, weil sich sonst das Seil hinter einer Schuppe verklemmt und du einen brutalen Seilzug bekommst. Wir haben die Route inzwischen einfach sehr gut gekannt, was auch zum Erfolg beigetragen hat.
Würdest du sagen, du warst beim ersten Mal etwas blauäugig?
Ja, das kann man auf jeden Fall sagen. Im Nachhinein bin ich mir sicher, dass ich 2010 auch dann keine Chance gehabt hätte, die Route frei zu klettern, wenn die Bedingungen optimal gewesen wären. 2011 vielleicht, aber wahrscheinlich auch nicht. Dieses Jahr ist alles zusammen gekommen: Wir hatten genügend Erfahrung, waren reif für die Realisierung dieses Traums, und auch das Wetter und die Bedingungen haben gepasst.





„Wir müssen uns nichts beweisen“ - David Lama im Interview
Habt ihr Wetterprognosen vom Innsbrucker Wetterpapst Charly Gabl bekommen?
Ja, haben wir, und der hat uns auch grünes Licht gegeben. Ein erstes, kurzes Schönwetterfenster haben wir ausgelassen, dann war‘s zweieinhalb Tage schlecht und dann kam ein großes Schönwetterfenster, bei dem klar war, das hält – und dann sind wir eingestiegen.
Diesmal war wieder ein Filmteam dabei. Wie sind die überhaupt raufgekommen?
Über die Kompressorroute ging ja nicht, weil die Bolts gefehlt haben. Deshalb sind sie über die Westwand hoch. Vom Gipfel haben sie dann ein Seil herabgelassen, von dem aus der Kameramann die letzten Seillängen gefilmt und ab und zu Fotos gemacht hat. Unten hatten wir Helmkameras und eine kleine Handkamera im Einsatz.
2011 und 2012 warst du mit Peter Ortner unterwegs. Der perfekte Partner für so ein Unternehmen?
Auf jeden Fall! Kennengelernt haben wir uns bei meinem ersten Versuch am Torre. Die Bellavista an den Drei Zinnen im Sommer 2010 war dann unsere erste Tour. Die zweite war im Dezember 2010 der Hahnenkammturm in Osttirol. Das war eine der wildesten Aktionen, die ich bisher gemacht habe. Tagsüber hatte es -20° Grad, und wir mussten mit einem dünnen Schlafsack biwakieren. Anschließend sind wir nach Patagonien.





Was muss dein alpiner Kletterpartner mitbringen?
Ich glaube, da gibt‘s kein „muss“, entweder es passt oder es passt nicht. Und mit Peter läuft‘s perfekt. Er ist zwar nicht der superstarke Freikletterer, aber im Alpinen sind wir etwa gleich fit. Lässig ist, dass wir uns nichts beweisen müssen. Wenn der eine sagt, das ist zu gefährlich oder da komme ich nicht hoch, dann kann der andere das unterschreiben. Auf den Peter kann ich mich verlassen. Und es ist nicht so, dass wir uns nach einem gemeinsam verbrachten Monat nicht mehr sehen können. Da kann es sein, dass wir am nächsten Tag schon wieder telefonieren, und zwei Wochen später gehen wir wieder eine wilde Tour.
Wie habt ihr die Kompressorroute aufgeteilt?
Den unteren Teil bis zur Bolt-Traverse sind wir in Wechselführung geklettert, von der ersten schweren Seillänge bis zum Biwak bin ich alles vorgestiegen. Am nächsten Morgen haben wir uns von den Ice Towers bis zum Beginn der Headwall abgewechselt. Dann bin ich wieder vorgestiegen.
Ende Februar habt ihr schon wieder eine Erstbegehung gemacht, diesmal in den Slowenischen Alpen. Wo, was, wie?
Das war vom 25. bis 27. Februar an der 1200 Meter hohen Nordwand des Loska Stena. Das war wieder ziemlich wild. Die Schwierigkeiten liegen zwar nur bei 7- im Fels und M6 im kombinierten Gelände, aber durch den geschlossenen Fels war die Absicherung sehr schwierig. Irgendwann wurde uns das Ganze zu gefährlich und so querten wir im oberen Wandviertel nach rechts in leichteres Gelände. Auch die beiden saukalten Biwaks waren kein Spaß.
Angesichts solcher Aktionen kann man dich getrost als „harten Nordwandmann“ bezeichnen. Vermisst du manchmal die Wettkämpfe in beheizten Kletterhallen?
(Lacht) Nein, bisher nicht.
Was sagen deine Eltern dazu, dass du dich vom sicheren Sportklettern immer mehr zu deutlich gefährlicheren alpinen Aktionen bewegst?
Man könnte ja auch fragen, was meine Eltern dazu sagen, dass ich überhaupt klettere. Aber das ist eine Entwicklung, in die ich reingewachsen bin, dass ich immer größere und auch wildere Wände gemacht habe. Und parallel dazu sind eben auch meine Eltern in diese Situation reingewachsen, so dass sie sich inzwischen daran gewöhnt haben. Sie sehen das genauso wie ich – dass es lässig ist, wenn man etwas hat, wofür man lebt. Außerdem wissen sie, dass ich keine kopflosen Aktionen mache.
Wird es eine Rückkehr zum Wettkampfklettern geben?
2014 möchte ich noch mal bei der Weltmeisterschaft starten. Und wenn ich schon dafür trainiere, werde ich wohl die ganze Wettkampfsaison mitnehmen. Aber bis dahin möchte ich vorwiegend alpin klettern. Diesen Sommer fahre ich mit Peter nach Pakistan an die Trangotürme und dann wahrscheinlich an die Chogolisa (7668 m), um Erfahrung in der Höhe zu sammeln. Die fehlt uns ja noch. Wir wollen uns von der Höhe aber nicht bei der Auswahl unserer Ziele einschränken lassen und die ganze Spielwiese des Bergsteigens für uns haben.





„Man braucht eben auch viel Glück“ – David Lama im Interview
Wie trainierst du inzwischen?
Ich gehe immer noch in die Kletterhalle, bin immer noch am Bouldern, Skitouren gehen und Radfahren. Ich mach‘s ähnlich wie früher. Das beste Training für Geschichten wie den Torre sind aber alpine Touren. Da sammelt man Erfahrungen, und die sind sauwichtig. Ich glaube aber schlussendlich kommt es darauf an, dass man wirklich 100 Prozent hinter dem steht, was man tut. Man darf nicht 15 Meter über der letzten Zwischensicherung stehen und denken: Mei, jetzt setze ich schon wieder mein Leben aufs Spiel! Deshalb muss man den richtigen Mittelweg finden: diese Situationen ausreichend trainieren, sich aber auch nicht zu oft in brenzlige Situationen bringen und dadurch den Biss verlieren. Ich denke, es ist auch eine Altersfrage, wieviel Risiko man bereit ist einzugehen. Ich kenne das von älteren Bergsteigern, mit denen ich schon unterwegs war. Ich nehme lieber weniger Material und Essen mit und habe dann mal eine Nacht Hunger. Wenn man älter wird, nimmt man wahrscheinlich lieber etwas mehr mit, braucht etwas länger und biwakiert einmal mehr. Momentan bin ich noch Vollgas unterwegs, aber ich kann mir gut vorstellen, dass sich das auch bei mir ändern wird.
Was denkst du: Kann deine Generation das Freiklettern an großen Wänden in neue Dimensionen tragen?
Ich glaube, es gibt wenige Kletterer, die das wollen. Und noch weniger, die es dann auch versuchen. Das soll nicht nach Selbstlob klingen, aber man braucht eben auch viel Glück, damit man nicht in den ersten Jahren irgendwo runterfliegt. In meinen Augen geht es zudem um die Sinnhaftigkeit. Sieht man die Ostwand des Cerro Torre unter Sportkletter-Gesichtspunkten, könnte man sagen: Da gehen doch 300 Routen rein. Ich habe aber kein Bedürfnis, am Torre noch eine Linie frei zu klettern. Da würde es mich aus bergsteigerischer Sicht viel mehr reizen, die Nord- oder die Westwand zu durchsteigen. Den Sportklettergedanken eins zu eins auf große Wände zu übertragen, ist so eine Sache. Letztlich gibt es im Alpinismus ein Ziel: Rauf zu kommen. Das „Wie“, die ganzen Definitionen machen das Raufkommen spannend, aber letztlich willst du vor allem oben stehen.
Was hältst du von künstlichem Sauerstoff an Achttausendern?
Interessiert mich nicht, das ist keine Option für mich. So viel „Wie“ bringe ich auf jeden Fall mit. Beim Cerro Torre habe ich als „Wie“ ja auch freiklettern zum Ziel gehabt. Trotzdem kommt es immer darauf an, was den Einzelnen inspiriert.





Würdest du dich bei einer Erstbegehung über unkletterbare Passagen drüberbohren„?
Das kommt auf die Linie an. Am El Cap gibt es beispielsweise eine Route, wo schwierige Risslängen durch Bohrhaken miteinander verbunden wurden. Irgendein Kletterer ist dann gekommen und hat gesagt, das ist doch eine Bohrhakenleiter von unten bis oben, und hat angefangen die Bohrhaken rauszuhauen. Nach einem Drittel der Route hat er gemerkt, dass hier technisch anspruchsvolle Kletterei miteinander verbunden wurde. Er hat seine Ausnagelung daraufhin abgebrochen, weil er gemerkt hat, dass das eigentlich eine lässige Tour ist. Warum soll man eine Erstbegehung abbrechen, wenn da mal auf zehn Metern eine komplett glatte Wand ist? Ich denke, auch Kennedy, Kruk oder Garibotti würden zwei oder drei Bohrhaken hintereinander setzen, wenn dadurch eine wunderschöne Linie möglich wird. Warum sollte man das grundsätzlich verdammen? Es geht doch immer nur um die Sinnhaftigkeit, die das Ganze für einen selbst hat.
Wäre es für dich auch okay, in einer großen Wand eine Freikletterlinie von oben zu eröffnen?
Das ist ein schwieriges Thema. Zweifellos ist es schöner, wenn man von unten erstbegeht, ins Neue, ins Unbekannte klettert. Aber wenn ich mich am Cerro Torre in der Headwall erst an den Haken hochziehe, dabei zwei Meter nebendran eine frei kletterbare Linie sehe und genau erkenne, wo die Placements sind – was hat das dann noch mit Klettern ins Unbekannte zu tun? Da belügt man sich doch selbst! Ich bin aber nicht der, der sich strikt für oder strikt gegen etwas ausspricht. Warum überlässt man das nicht jedem selbst, auf welche Art er sich verwirklichen will? Ich glaube, zwischen Weiß und Schwarz gibt es unzählige Grautöne.
Und wenn dadurch – wie es Silvo Karo einst formuliert hat – eine Linie zukünftigen Generationen gestohlen wird?
Ich glaube, man muss immer den Sinn der Sache hinterfragen. Ich habe kein schlechtes Gewissen, eine Sportkletterroute von oben einzurichten, denn da geht es schlussendlich darum, die Route irgendwann rotpunkt zu klettern. Beim Bergsteigen aber geht es darum, auf den Gipfel zu kommen. Und da gebe ich ihm dann zum Teil recht. Nur, wenn wir immer auf die nächste, bessere Generation warten, stecken wir in einer Sackgasse. Klar werden wir hin und wieder Fehler machen, aber die geben uns auch die Chance, daraus zu lernen. So bleiben wir nicht stehen, sondern entwickeln die Idee des “perfekten„ Stils weiter. In Tom Dauers Buch “Cerro Torre„ steht irgendwo ein Satz, der mir gut gefällt: “Erstbegeher haben die Freiheit, alles zu machen, aber auch die Verpflichtung, ihr Bestes zu geben.„ Oder so ähnlich …
Gibt es ähnliche Traumziele für dich wie den Cerro Torre?
Ich bin ja noch nicht so lange zurück, momentan ist der Torre schon noch sehr präsent. Du musst dir den Berg ja nur anschauen – einen schöneren Berg kann‘s kaum geben. Ich glaube, mir geht‘s beim Klettern weniger um das Gefühl, mehr um das Künstlerische, um die Linie. Deswegen finde ich Granit auch viel lässiger zum Klettern als Kalk. Natürlich sind auch die Gefühle ein wichtiger Teil beim Klettern, aber das fällt für mich mehr unter die Rubrik Erlebnisse. Und wenn da eine Linie ist wie am Torre, dann kann ich die Gefühle viel besser mit einzelnen Abschnitten verknüpfen. Dann kann ich auf ein Bild des Berges schauen und denken, da war das und dort ist das passiert. Am Torre hatte ich so viele lässige Erlebnisse, so schnell wird das sicher nichts toppen!
Hast du sonstige Träume? Was wünscht du dir von deinem weiteren Leben?
Eine Frau und zehn Kinder oder zehn Frauen und ein Kind? (Lacht) Nein, im Ernst: Ich glaube, ich sollte mich über mein Leben, so wie es ist, keinesfalls beschweren. Ich hatte die Chance und habe es geschafft, dass sich mein ganzes Leben ums Klettern dreht – und damit bin ich sehr, sehr glücklich. Da brauche ich mir nicht noch zusätzlich viel zu wünschen!
Was machst du, wenn du nicht kletterst?
Angeln ist inzwischen eins meiner liebsten Hobbys, das ist der volle Nervenkitzel. Wenn du da im Bach stehst, deinen Blinker auswirfst, dann siehst wie der Fisch hinterherschwanzelt – und wenn er dann beißt, da fährt‘s durch mich durch, das ist pures Adrenalin! Dann Skifahren, Radl fahren, wobei ich immer weniger radfahre, das ist mir zu gefährlich.
Sagt der Alpinist?
(Lacht) Ja. Wie soll ich das sagen? Manche Leute sollten nicht Base jumpen, weil sie es irgendwann übertreiben. Und so geht‘s mir mit dem Radfahren. Wenn ich auf dem Rennrad sitze, dann heize ich halt auch gern mit 80 km/h den Berg runter. Aber da bist du so materialabhängig, und wenn du dann plötzlich einen Platten hast, dann verspult es dich und du brichst dir alles. Das ist es mir nicht wert. Wenn‘s mich am Torre runterhaut, dann weiß ich wofür!
Würdest du sagen, du bist beim Klettern generell risikobereit?
Ein Risiko, bei dem ich das Gefühl habe, dass ich es kalkulieren kann, gehe ich gerne ein. Beim Klettern habe ich das soweit im Griff, dass nur ein Restrisiko bleibt. Und selbst das Restrisiko kannst du in gewisser Weise kalkulieren und auch minimieren. Nehmen wir Eisschlag. Da musst du eben schauen, dass du dich in Eisschlag-gefährdeten Bereichen nicht lang aufhältst, dass du dort besonders schnell kletterst. Beim Rennradl fahren habe ich das nicht drauf.
Danke, David!




