Übers Klettern aus der Kriminalität
Klettern statt Knarren: Escalando Fronteras

Inhalt von

Das Hilfsprojekt Escalando Fronteras versucht, Kindern und Jugendlichen in Mexiko übers Klettern Perspektiven jenseits von Bandenkriegen und Kriminalität aufzuzeigen. Ein Interview.

KL-Escalando-Fronteras-Charity-Klettern-Mexiko (jpg)
Foto: Gareth Jason Leah

Die Charity Escalando Fronteras will Kindern übers Klettern zeigen, dass es eine Welt abseits von Drogen, Banden und Straßenkriminalität gibt. Mathias Jockel ist vor Ort in Monterrey und hat unsere Fragen zu dem Projekt beantwortet.

(Wer das Projekt unterstützen will, kann dies hier tun)

Mathias, was möchte Euer Projekt Escalando Fronteras erreichen?

Aktuell gibt es etwa 30.000 Kindersoldaten in Monterrey, Mexiko. Außerdem gibt es etwa hunderttausend gefährdete Jugendliche in Mexiko, die unter dem Drogenkrieg sowie unter Willkür und Terror durch Polizei und Militär leiden. Sie leben in marginalisierten Gebieten mit wenig Chancen und kaum Hoffnung für die Zukunft. Viele dieser Jugendlichen sind gezwungen, als Kindersoldaten für die Drogenkartelle zu arbeiten, um ihre Familien zu ernähren.
 
"Escalando Fronteras" hat sich zum Ziel gesetzt, in einer ersten Phase circa 1000 dieser Jugendlichen einen sozialen Trefftpunkt in Form eines Jugendzentrums mit Kletterhalle zu bieten. Dieser soll ihnen helfen, ihrem rauen Alltag auf den Straßen von Monterrey zu entfliehen und ihr Leben sinnvoller zu gestalten.

Unsere Highlights

Mit Hilfe von Psychologen, Coaches und erfahrenen Kletterern wollen wir ihnen eine neue, nachhaltigere und gesündere Zukunftsvision aufzeigen, die aktuell für diese Jugendlichen nicht realisierbar wäre. Wir kämpfen für eine neue Perspektive abseits von Drogen, Straßenkriminalität und dem Einfluss der Kartelle. Die Jugendlichen sollen unter professioneller Anleitung lernen, sich selber zu akzeptieren, ihre Energie in aufregende Aktivitäten wie dem Klettern zu investieren und über positive Erfolgserlebnisse langfristig dem kriminellen Leben auf der Straße zu entkommen.
 
Wie kann das Klettern hier helfen?

Bereits seit Jahren wenden die Vereinten Nationen (UNO) in krisengeschüttelten Ländern Sport als Rehabilitationskonzept für Jugendliche an und sind damit erfolgreich. Da Klettern sehr komplexe Anforderungen an Körper, Psyche und Geist stellt, kann hierüber auch ein positiver Einfluss auf tieferliegende Probleme wie post-traumatischen Stress (durch die erlebte Gewalt) oder vermindertes Selbstwertgefühl (zum Beispiel durch Armut) erzeugt werden.

Klettern dient außerdem als Kompensator, um überschüssige Energien abzubauen, Teamgeist zu stärken und Gewalt vorzubeugen. Sport im Generellen bringt viele weitere positive Auswirkungen, beispielsweise sich persönliche Ziele zu stecken und diese zu erreichen. Die daraus resultierende Genugtuung und natürlich auch die damit verbundene psychologische Aufwertung des Selbstvertrauens der Jugendlichen sind ein erster großer Schritt in die richtige Richtung. Eine neue Erkenntnis für die Jugendlichen ist außerdem, dass jeder Mensch Ängste hat und dass diese im Team überwunden werden können ohne die betroffene Person weiter ins Abseits zu drängen.
 

(Achtung: In diesem Video sind teilweise zermürbende Bilder von Gewalttaten und ihren Folgen zu sehen.)

Video: Charity Escalando Fronteras

Wer steckt hinter Escalando Fronteras?
Im Zuge ihrer Masterarbeit in Soziologie unternahmen die ursprünglichen Gründer Rory Smith und Javier Hernandez intensive statistische Erhebungen in Lomas Modelo. Über Interviews mit Gangmitgliedern, Besuche von Jugendgefängnissen und betroffenen Familien wurde ihnen schnell die aussichtslose Lage der Jugendlichen bewusst. Hierauf folgte in 2014 ein erster Feldversuch mit der Betreuung von circa 100 Jugendlichen über einen Zeitraum von 6 Monaten. Daraus entstand ein festes Team von sieben Mitarbeitern (Kletterern, Psychologen und Mentoren), die sich ehrenamtlich um die Jugendlichen kümmern und das Projekt vorantreiben.

Wie finanziert sich das Projekt? Und wie können Interessierte helfen?

Wir haben unsere erste Crowdfunding-Kampagne Ende 2014 gestartet mit dem Ziel $30.000 zu sammeln, um hiermit ein Jugendzentrum mit Boulderhalle als soziales Kontaktzentrum für die Jugendlichen zu etablieren. Für diesen Zweck konnten wir zum Beispiel den Alpinisten und Künstler Renan Ozturk dazu bewegen, T-Shirts für uns zu designen, die interessierte Unterstützer erwerben können.

Neben weiteren Artikeln wie handsignierte Skateboards von lokalen Künstlern war das Highlight unserer Kampagne, eine neue Mehrseillängen-Route in Monterrey zu „verkaufen“. Diese wurde von uns eingebohrt und der Käufer konnte sich hierfür einen Namen ausdenken. Außerdem hat der Free-Solo-Kletterer Alex Honnold schon einige signifikante Begehungen in Mexiko vollbracht und "Escalando Fronteras" sowohl finanziell als auch ideologisch unterstützt.

Glücklicherweise haben wir weitere Klettergrößen wie Lynn Hill, James Pearson, Jimmy Webb und einige weitere, die uns mit ihrer Medienpräsenz unterstützen. Außerdem haben wir Boulderwettbewerbe organisiert, deren Erlös zum Bau des Jugendzentrums verwendet wird.

Des Weiteren kommunizieren wir natürlich auch mit der mexikanischen Regierung, um weitere Hilfen und Unterstützung für die benötigte Infrastruktur zu erhalten. Leider gibt es hier sehr wenige bis gar keine Mittel für soziale Projekte, daher ist der Prozess sehr langwierig und wir sind weiterhin auf private Hilfen angewiesen.
Interessierte können uns helfen mit einer direkten Geldspende auf unserer Webseite escalandofronteras.org/donate, oder einem Like auf Facebook und wir sind natürlich auch an Freiwilligen interessiert, die sich vor Ort mit uns um die Jugendlichen kümmern und die Unterstützung des Projektes vorantreiben wollen. Auch können wir Klettermaterial und Equipment brauchen; auch freuen wir uns über Bohrhaken-Spenden zum Einrichten von neuen Kletterrouten. Generell sind wir für jede Hilfe dankbar, die unser Projekt vorankommen lässt.

Die weitere Entwicklung Eurer Zielgruppen-Jugendlichen hängt letztlich ja auch an den Perspektiven, die sie nach dem Ausstieg aus der Kriminalität vorfinden. Wie siehst Du die Situation, gibt es genügend alternative Möglichkeiten für die "Kids"?

Momentan ist es sehr schwierig, Zukunftsprognosen für die Jugendlichen in Monterrey zu geben. Mexiko leidet unter einer sehr hohen Kriminalitätrate, Korruption und der Missachtung der Menschenrechte. Der psychologische Ansatz, um den gefährdeten Jugendlichen bessere Aussichten für ihre Zukunft zu geben, liegt in der Selbstwahrnehmung der eigenen Person und der Erkenntnis, aus eigenem Antrieb etwas erreichen zu können.

Diese positiven Erfahrungen leisten einen großen Beitrag zur Stabilisierung des Charakters der Jugendlichen. Unsere Intention ist, jungen Menschen über die Vermittlung von bisher nicht da gewesenen Werten, alternative Lebenswege aufzuzeigen und ihren Sinn für einen nachhaltigen Umgang mit ihrer Umwelt zu schärfen.

Leider ist die Umsetzung sehr schwierig und nicht alle Faktoren können von uns beeinflusst werden. Jedoch hoffen wir, durch eine gesunde Grundhaltung und das Aufzeigen von Alternativen neben einem Leben auf der Straße zumindest einen positiven Grundstein für die zukünftige Entwicklung eines jeden Jugendlichen legen zu können.

Gibt es bereits konkrete Erfolge? Was habt Ihr schon erreicht?

Ein erster nennenswerter Erfolg von „Escalando Fronteras“ ist unser Pilotprojekt, das im Januar 2014 mit 100 Jugendlichen zwischen 8 und 20 Jahren aus einem der am stärksten von Gewalt und Drogen betroffenen Stadtteile von Monterrey, in Lomas de Modelo, begonnen hat.

Wir konnten belegen, dass es eine deutlich positive Entwicklung im Verhalten der Jugendlichen gab. Nennenswert sind hier vor allem eine positivere Wahrnehmung ihres Umfelds, mehr Lust Sport zu treiben, ein verbessertes Selbstwertgefühl, weniger Missbrauch von harten Drogen wie Kleber und ähnliches, eine erhöhte Tendenz zur Wiedereingliederung in die Schule, Verringerung von Gewalt zur Konfliktlösung und eine sehr hohe Motivation, ihrer neuen Freizeitbeschäftigung dem Klettern nachzugehen.

Als Konsequenz der positiven Ergebnisse des Pilotprojekts hat „Escalando Fronteras“ nun die Arbeit mit einem festen Team von sieben Personen und einer etablierten Gruppe von 50 Jungen und Mädchen begonnen.

Außerdem konnten wir mehrere strategische Partnerschaften mit Organisationen in Monterrey knüpfen, die uns vor Ort unterstützen. Nennenswert hier ist vor allem die Zusammenarbeit mit der Universitäten in Monterrey, die uns mit Psychologen unterstützt. Auch wurden weitere Partnerschaften mit kulturellen Dienstleistern wie Fotografen, Künstlern und Unternehmen gebildet, die uns mit materiellen Spenden und Kletterausrüstung helfen.

Wir sind überzeugt davon, dass dieses soziale Projekt zukunftsfähig ist, denn es gibt erste Erfolge. Die Jugendlichen sind hoch motiviert - und wir auch.

Danke Mathias und viel Erfolg!

KL Mathias Jockel von Escalando Fronteras
Escalando Fronteras
Mathias Jockel von Escalando Fronteras

Mathias Jockel, Jahrgang 1982, ist gebürtiger Kölner und seit Anfang 2014 Mitarbeiter bei Escalando Fronteras. Der Kletterer und Unternehmensberater hat sich sofort für das Projekt Escalando Fronteras begeistert und kümmert sich nun um die Außen-Kommunikation des Hilfsprojekts. Wir danken für das Interview.








Escalando Fronteras

Hier geht es zur Crowdfunding-Webseite von Escalando Fronteras. Mit dem Geld soll eine Kletterhalle gebaut werden, die neben Trainingsmöglichkeiten vor allem Anlaufstelle für die Kids werden soll.

Hier geht es zur Webseite der Organisation Escalando Fronteras

Mehr:

Die aktuelle Ausgabe
04 / 2023

Erscheinungsdatum 07.03.2023

Abo ab 49,99 €