Der 39-Jährige wusste damals wahrscheinlich nicht, dass nur ein paar Dutzend Kilometer weiter südlich eine steinerne Wunderwelt aus Kalk und ebenjenem Mineral in den Himmel ragte. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hatte sich der Begriff Dolomiten schon für die ganze Region eingebürgert – und als 2009 die Unesco neun Gebirgsstöcken, darunter die nördlichen Dolomiten, Brenta, Latemar, Pelmo-Croda da Lago, Friauler Dolomiten, Marmolada, Puez-Geisler, Bletterbach und die Palagruppe, den Status »Weltnaturerbe « verlieh, waren die bleichen Berge nicht bloß Wanderern und Bergsteigern auf der ganzen Welt ein Begriff.
Die Dolomiten: Was für ein Gebirge!
Etwa 100 Dreitausender, dazu kleine Gletscher, senkrechte, bis zu 1600 Meter hohe Felswände, über 1000 Meter tiefe Schluchten, kühne Zinnen, atemberaubende Grate und gewaltige Türme. Allein wegen ihrer Schönheit könnte man die Dolomiten schon zum Welterbe erklären, doch neben dem ästhetischen Reiz führte die Unesco noch andere Gründe auf: Die Dolomiten sind wie ein offenes Buch, das Einblick in die erdgeschichtlichen Umwälzungen vor 200 bis 250 Millionen Jahren gibt, als im Urmeer Tethis Korallenriffatolle, vergleichbar mit denen der heutigen Südsee, entstanden.
Als vor etwa 65 Millionen Jahren die Alpen aufgeworfen wurden, fielen diese Atolle trocken, ein Glücksfall für Geologen, denn im Unterschied zu anderen Gebirgen wurden die Gesteinsschichten der Dolomiten dabei nicht wild durcheinander gewürfelt. Wie von einer riesigen Hand behutsam angehoben, stiegen sie am Ende der Kreidezeit an einem Stück aus dem Meer – und sind seitdem Wind und Wetter ausgeliefert, die auch heute noch ihr wildes Spiel mit ihnen treiben. Als dann vor gut 160.000 Jahren der Mensch die Bühne der Erdgeschichte betrat, waren die schneeweißen Riffe, Lagunen und Atolle schon längst erodiert. Und seitdem die Dolomiten besiedelt sind, beflügelt die Formenvielfalt die Fantasie ihrer Bewohner. So entstand ein riesiger Sagenschatz, dessen mythologische Kraft seit dem Mittelalter weit über die Dolomiten hinaus wirksam war.
Wer kennt ihn nicht, den Zwergenkönig Laurin, der nach der missglückten Entführung der schönen Similde in seinem Rosengarten von den Häschern des Brautvaters gefasst wurde? So zornig war Laurin auf die Rosen, deren Bewegungen den Verfolgern sein Versteck verraten hatten, dass er die schönen Pflanzen dazu verdammte, Tag und Nacht von keinem Menschen mehr gesehen zu werden. In seinem Zorn vergaß er bei dem Fluch allerdings die Dämmerung zu erwähnen – und wurde so unbeabsichtigt zum Vater des Alpenglühens.
Doch auch nüchterne Gemüter fühlten sich angezogen von der »...eigentümlich vertikalen Struktur, die den Dolomiten Ähnlichkeit mit der menschlichen Architektur verleiht«, wie Douglas William Freshfield, Bergsteiger und Herausgeber des »Alpine Journal«, in seinem Buch »The Italien Alps« feststellte. Der Architekt Le Corbusier formulierte es knapper, für ihn waren sie schlicht: »die schönsten Bauwerke der Welt«. Doch einerlei ob man in den Zinnen und Türmen nun sagenhafte Gestalten, Bauwerke oder vorzeitliche Inseln sieht –allemal machen sie Lust, diese Bergwelt ein paar Tage wandernd zu erkunden, von Hütte zu Hütte zu ziehen und sich vom Rhythmus einer Trekkingreise tragen zu lassen. In kürzester Zeit wird man die Welt mit neuen Augen sehen, auf urzeitliche Inseln blicken, Millionen Jahre alte Korallen in den Händen halten.
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