Samstag, 10. Juli, 8.00 Uhr. Über dem Vilsalpsee im Allgäu schwebt ein feiner Streifen Morgendunst. Ringsum ragen massige Berge in den wolkenlosen Himmel, werfen tiefe Schatten auf den See und das östliche Ufer. Eine Amsel flötet, sonst ist es still. Schweigend taucht ein sechsköpfiger Trupp knirschenden Schrittes aus dem Wald auf und schlägt den steilen Pfad zur Landsberger Hütte ein. An ihren Füßen: Bergschuhe. In ihren Rucksäcken: ein paar Riegel, Wasser und noch mehr Bergschuhe. Ihr Plan: Schuhe testen. Genauer: steigeisenfeste Alpinstiefel.
Im Vergleich zu normalen Bergstiefeln besitzen Alpinstiefel einen stabileren Schuhschaft und festere Sohlen. Beides erweitert das Einsatzspektrum deutlich: Mit einem sehr guten Alpinstiefel sind nicht nur genussvolle Hüttenwanderungen und Klettersteigtouren möglich, sondern auch Bergtreks mit schwerem Rucksack oder – mit Hilfe untergeschnallter Steigeisen – auch Gletscherquerungen oder Hochtouren auf 4000er-Gipfel.
Acht Modelle hat die outdoor-Redaktion für den Test bestellt, alle mit Gore-Tex-Membran und zwischen 240 und 300 Euro teuer. Mit den alten, bocksteifen und schweren Alpinstiefeln vergangener Zeiten teilen die aktuellen Modelle nur noch den Namen. Die neue Generation verspricht ein hohes Maß an Geschmeidigkeit und viel Gehkomfort auf allen Wegen – trotz der steifen Sohlen. Von ihnen haben nicht nur Alpinprofis etwas, sondern auch der einfache Bergwanderer.
Im Test:
- Aku Cresta NBK, Preis: 250 Euro
- Hanwag Friction, Preis: 260 Euro
- La Sportiva Trango Alp, Preis: 270 Euro
- Mammut Monolith, Preis: 260 Euro
- Lowa Mtn. Expert, Preis: 270 Euro
- Meindl Mont Blanc, Preis: 240 Euro
- Salewa Condor Evo, Preis: 250 Euro
- Scarpa Triolet Pro, Preis: 300 Euro
Aktuellere Modelle:
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Testfazit und Ergebnisse
Auch wenn die Ergebnisse nah beieinander liegen – alle acht Paare schneiden gut oder sehr gut ab –, besitzen die Modelle unterschiedliche Charaktere. Welchem man den Vorzug gibt, entscheiden neben der Passform vor allem die geplanten Touren.
Wer möglichst vielseitig unterwegs sein möchte, braucht ein Allround-Modell wie den Lowa Mt. Expert. Dank hohem Gehkomfort macht er schon beim Zustieg Freude, bietet dazu viel Feingefühl im Fels, aber auch Schaftstabilität und Sohlenfestigkeit für anspruchsvolle Hochtouren oder Trekkingtrips mit schwerem Rucksack.
Als fast genauso vielseitig erweisen sich Mammut Monolith, Meindl Mont Blanc, Scarpa Triolet Pro sowie Salewa Condor Evo. Er hat bei Gehkomfort und Kletterperformance klar die Nase vorn. Allerdings fehlt es ihm, wie auch dem Scarpa, etwas an Seitenhalt – das erfordert stabile Fußgelenke, vor allem auf Trekkingtour oder beim Gehen mit Steigeisen.
Zieht es Sie in eisig kalte Nordwände, steile Eisrinnen und ruppiges Mixedgelände? Dann sollten Sie den Hanwag Friction anprobieren – ein top stabiles und trittpräzises Steigwerkzeug, das auch dort noch weitergeht, wo andere längst umkehren.

Die Ergebnisse:
Die Laborprüfung
Montag, 27. Juni, 8.00 Uhr. 200 Kilometer von der Lailachspitze entfernt nimmt Marleen Ahnert im Testlabor der Firma Gore einen Metallfuß und steckt ihn in den ersten der acht Alpinstiefel. »An den Füßen kann der Mensch im direkten Vergleich nur grobe Unterschiede im Klimakomfort feststellen.« Das habe ein Langzeittest bewiesen. Und deswegen gibt es den Metallfuß. Er »schwitzt« sechs Stunden lang in jeden der Stiefel. Je mehr Feuchtigkeit durch den Schaft nach außen verdampft, desto atmungsaktiver ist der Testkandidat.
Auch die Wasserdichtigkeit prüft outdoor im Labor. Zuerst wandern die Testmodelle, bis zum Knöchel mit Wasser gefüllt, in die Zentrifuge. Die lässt jeden Schuh mit 250 Umdrehungen pro Minute kreisen, eine Stunde lang. Das darin schwappende Wasser drückt durch die Fliehkraft mit rund 80 Kilo in den Schuh. Alle 15 Minuten stoppt die Maschine, dann wird der Schuh auf Undichtigkeit geprüft. »Er steht auf Löschpapier, das verrät jeden Tropfen«, erklärt Ahnert.
Im zweiten Schritt lässt die Schuhexpertin die Testschuhe in den Gehsimulator spannen: Hier steht ihnen das Wasser bis zum Schaft, während eine Metallplatte den Vorfußbereich auf und nieder drückt, bis zu 300.000 Mal – oder bis Feuchtigkeitssensoren im Schuh Alarm schlagen.
Donnerstag, 20. Juli. Endlich stoppt der Gehsimulator im Gore-Labor, der letzte der 300.000 Schritte ist getan. Marleen Ahnert sitzt vor ihrem PC, füttert ihn mit den Daten. »Alle Schuhe haben die Tests bestanden und sind absolut wasserdicht.« Sie wirkt erleichtert. Und das Klima? »Das ist durchweg gut. Zwar gibt es Unterschiede, aber nur sehr kleine.«
Das können die Tester bestätigen. Vor und nach dem gemeinsamen Testwochenende im Allgäu sind viele von ihnen noch auf eigene Faust mit den Schuhen ins Gebirge gestiefelt. So konnten die Testkandidaten richtige Höhenluft schnuppern, etwa am Fletschhorn oder an der Aiguille d‘Argentière. Auch auf diesen Touren haben alle Stiefel dicht gehalten – und mit gutem bis sehr gutem Schuhklima für trockene Socken gesorgt.

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Der Praxistest: Die Testcrew im Gelände
Samstag, 13.00 Uhr. Über viel Geröll und kurze Kletterpassagen erreichen die Tester ihr Tagesziel: die Leilachspitze (2274 m). Dichte Wolken vernebeln die Sicht. Wortlos reißen sie Snacks auf, wechseln Schuhe und kramen Testbögen und Kuli hervor. Felix Wiedmann, der weniger das Klettern in den Alpen als vielmehr epische Treks im hohen Norden liebt, hat schon einen Favoriten ausgemacht: »Der Lowa ist echt der Hammer! Trägt sich leichtfüßig, rollt top ab und bietet genauso viel Seitenhalt wie stabile Trekkingstiefel – und die sind in puncto Seitenhalt ja eigentlich führend!«
Insgesamt ist die Testcrew bisher sehr zufrieden. Unter Abrollkomfort trägt sie fast nur Pluszeichen in die Bögen ein. Auch beim Punkt Anschmiegsamkeit verteilt das Team viel Lob, vor allem an den Meindl, der »... weich wie ein Strumpf am Fuß sitzt«, so Testerin Karina Grammel.
Kritik? Die gibt‘s nur für die hakelige Schnürung des Salewa und für die geringe Fersendämpfung bei Aku und Hanwag. Der Testpunkt Klimakomfort bleibt hingegen auf allen Bögen leer. Obwohl die Tester auch mal zwei verschiedene Schuhe gleichzeitig trugen, konnten sie keine Unterschiede feststellen.

Sonntag, 11. Juli, 9.00 Uhr. Fast senkrecht ragt eine hundert Meter hohe Felswand über den Helmen der Testcrew in den blauen Himmel. Die Tester stehen vor dem Salewa-Klettersteig. Bergführer Jost nimmt das Stahlseil in die Hände und zeigt, was Bergschuhe hier leisten müssen: »Der vordere Sohlenrand muss sehr steif sein. Nur dann kann man sich mit der Schuhspitze auf zentimeterkleine Felsabsätze stellen, ohne abzurutschen.« Auch auf den Schuhschaft geht Jost ein: »Mit einem weichen Schaft kann man seine Füße freier bewegen und besser platzieren.« Behende klettert das Sextett in die Steilwand. Schnell wird klar: Hier fühlen sich die Schuhe wohl – und auch die Tester.
Redakteur Frank Wacker ist begeistert, vor allem vom Salewa und Scarpa: »Trotz guter Fersendämpfung sind die Sohlen vorne extrem kantenstabil, sie verwinden sich kein Stück!« So toll schlagen sich längst nicht alle Modelle, doch wirkliche Nieten gibt es auch in puncto Kletterperformance nicht.